Als hätten sie Land betreten
Lotti und die Jüdin Veza sind über Jahre vertraute Freundinnen, die sich selbst wortlos verstehen. Als junge Erwachsene konvertiert Veza, tritt in den Karmel ein und nimmt den Ordensnamen Schwester Teresa an. Die Freundschaft zwischen den beiden bleibt bestehen. 1944 wird Schwester Teresa in ein Vernichtungslager gebracht. Lotti heiratet und bekommt zwei Kinder. Sie bewundert ihre Tante Alma, die damals schon berufstätig war und ein Auto besaß. Lottis Tochter Luna leidet unter ihrer Mutter, die ihr nur schwer vergeben kann, dass das Mädchen sie mitten in einer Schwangerschaft zu Fall brachte. Mit Vezas Mitschwester Dorothea tauscht sich Lotti nach Vezas Tod über die Jahre aus. Lottis Enkelin Alma findet im Nachlass Lottis zahlreiche Zeichnungen und Bilder, obwohl niemand in der Familie von diesem besonderen Tun wusste. Mit Hilfe von Dorothea erkennt die Enkelin, dass das Zeichnen für Lotti ein Mittel war, auch nach dem Tod mit Veza in Verbindung zu bleiben. - Als distanzierter Betrachter blättert die Autorin verschiedene Lebenskapitel auf; nicht, was geschieht oder gesprochen wird, ist wichtig, sondern wie sich die Akteurinnen wahrnehmen, was sie empfinden und woran sie erinnert werden, insbesondere das Verhältnis zu den jeweiligen Eltern. So entsteht ein vielschichtiges Bild von Frauen des 20. Jh., wie sehr oder wie wenig sie sich aus tradierten Rollen lösen, am wenigsten Lotti. Und dennoch ist sie es, die einen Weg findet, das sie so hart treffende mörderische Tun der Nazis zu verarbeiten, ohne zu verdrängen. Die überaus leisen Töne des Buches heben sich wohltuend von manchen plappernd schrillen Romanen ab.
Pauline Lindner
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Als hätten sie Land betreten
Claudia Sammer
braumüller (2020)
174 Seiten
fest geb.