Nils Mohl

Schriftsteller – Über das Erwachsenwerden

„Ich habe noch nie Jugendbücher geschrieben.“ Dieser Satz aus dem Mund von Nils Mohl, Träger des Deutschen Jugendliteraturpreises, mag zunächst verwundern. Wer aber seine Bücher liest, versteht diese Haltung. Nils Mohl schreibt Romane über das Erwachsenwerden und legt es nicht darauf an, es den Lesern leicht zu machen: Er spielt mit den Zeiten, erlaubt sich Sprünge, spult vor und zurück und legt sprachlich ein rasantes Tempo vor. „Meine Geschichten sind nicht kompliziert“, sagt er. Aber auch nicht zum Nebenbeilesen.

 „Ich finde, gute Literatur darf ruhig anstrengend sein. Auch als jugendlicher Leser habe ich es geschätzt, wenn ich mir die Geschichte erst erarbeiten musste. Das macht sie zu etwas Besonderem.“ Wer sich auf Nils Mohl einlässt, findet sich in bildhaften, detailliert auserzählten Szenerien wieder. So wie in seinem früheren Werk „Kasse 53“ (2008), das in der Belletristik zu finden ist. Mohl lässt einen namenlosen Kassierer auf unnachahmliche Art von seinem Alltag erzählen und widmet der Beschreibung der anonymen Innenstadt gleich mehrere Seiten.

Aufwachsen in der Tristesse


„Tauben stelzen, dabei kaum vernehmlich girrend, gurrend, rucksend, zwischen den Abfällen umher, zwischen Zigarettenkippen, Speiseresten, zwischen Folien- und anderen Kunststoffschnipseln. (…) Passantinnen, Passanten hasten, schlendern, trotten, schreiten, hetzen, bummeln vorbei, einzeln und doch auch miteinander, aber jede und jeder in einem anderen, ganz eigenen Tempo, von gemächlich bis presto, von andante bis Stechschritt.“ 18 Kommata in zwei Sätzen und doch eröffnet Nils Mohl eine lebendige Welt, die der Leser nicht nur sehen, sondern auch schmecken, riechen und fühlen kann.

Mut zur Hässlichkeit scheint dabei die Devise zu sein. Mohls Schauplätze sind nicht schön, aber manchmal schmerzhaft realistisch dargestellt. Wie die Siebzigerjahre-Hochhaussiedlung, angelehnt an Hamburg-Jenfeld, wo Mohl aufgewachsen ist. Sie bildet das desillusionierende Setting seiner Stadtrand-Trilogie „Es war einmal Indianerland“ (2011), „Stadtrandritter“ (2013) und „Zeit für Astronauten“ (2016). Die Romane widmen sich dem Aufwachsen in der Tristesse. Überschrieben mit den drei theologischen Tugenden - Liebe, Glaube und Hoffnung ziehen sie den Leser hinein, in das Leben der jugendlichen Protagonisten.

Schon nach wenigen Seiten kann man die Figuren vor sich sehen, meint sie persönlich zu kennen. Nils Mohl führt seine Leser nah heran, an Mauser und Silvester, Körts und Domino. Facettenreiche Charaktere, liebevoll modelliert, jeder für sich und doch gemeinsam unterwegs durch das Hell und Dunkel ihrer jungen Jahre. Nils Mohl scheint beim Schreiben in seine eigene Jugend zurückzukehren und es fällt ihm erstaunlich leicht, sagt er. „Ich empfinde es als Privileg, dass ich durch meine Bücher mittlerweile schon fünfmal jung gewesen bin.“ Die Jugend sei für ihn eine der schönsten Lebensphasen, „eine Zeit mit besonderer Qualität“.

No to Nine-to-Five-Job


Mohl wächst mit dem Geräusch der Schreibmaschine auf, seine Mutter ist Sekretärin. Schon früh liest ihm sein Vater regelmäßig vor, entfacht vielleicht seine Leidenschaft für Bücher. Oberflächlich betrachtet sehe er in seiner Familie keine weiteren genetischen Dispositionen, die sein Talent erklären könnten, schmunzelt er, aber „alle Menschen sind ja Geschichtenerzähler.“ Und doch wird nicht jeder Schriftsteller. „Ich werde oft gefragt, wie es dazu kommen konnte und ich habe immer noch keine anständige Antwort gefunden“, sagt der 45-Jährige, der in Kiel, Tübingen und Berlin neuere deutsche Literaturwissenschaft, Linguistik und Volkskunde sowie in Weimar Kulturmanagement studiert hat.

Stattdessen gibt es wohl mehrere Antworten. Eine davon hört sich so an: „Am Ende der Schulzeit wollte ich definitiv keinen normalen Nine-to-Five-Job. Feste Arbeitszeiten, vom Chef herumgeschubst werden, all das ist wohl für die meisten Jugendlichen eine Horror-Vorstellung. Auf jeden Fall war es das für mich.“ Eine sichere Rente reizt ihn nicht, er will lieber etwas Außergewöhnliches machen. „Nachdem ich meine Talente begutachtet hatte, erschien mir das Schreiben halbwegs realistisch. Obwohl ich natürlich keine Ahnung davon hatte, was es in der Realität bedeutet, Schriftsteller zu sein.“

Hartnäckig und unbelehrbar


Seine Eltern legen ihm keine Steine in den Weg. „Sie hätten niemals einen Berufswunsch torpediert.“ Aus einer Generation stammend, in der die freie Berufswahl nicht selbstverständlich war, bestärkten sie ihre Kinder darin, das zu tun, was sie gerne wollten. „Und das kam dann dabei heraus!“, schmunzelt Mohl. Das Besondere sei aber nicht der Berufswunsch an sich, sondern dass er über die Jahre daran festgehalten und sein Ziel weiterverfolgt habe. „Das hat sicher mit einer gewissen Hartnäckigkeit und Unbelehrbarkeit zu tun und mit dem Glück, sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort aufzuhalten.“

Glück und Hartnäckigkeit sind also die Zutaten, die Nils Mohl endlich zum erfolgreichen Schriftsteller gemacht haben. „Es ging nicht schnell, aber es gab auch nie Situationen oder Angebote, die mich von diesem Weg hätten abbringen können.“ Bis 2014 arbeitet er als Werbetexter für den Lebensunterhalt. Ein Muss, das an ihm zehrt: „Es war für mich die Hölle.“ Nebenbei schreibt er und veröffentlicht, erhält Auszeichnungen und es wird immer schwieriger, Anstellung und Freiberuflichkeit zu jonglieren. Schließlich ist es der Deutsche Jugendliteraturpreis für „Es war einmal Indianerland“, der ihm 2012 den Weg in die Freiberuflichkeit ebnet.

Heute geht Nils Mohl so sehr in seinem Traumjob auf, dass er sich manchmal kneifen muss, um zu begreifen, dass das hier nun wirklich sein Alltag ist: dieser Kontrast von Ruhe und Stille in seinen Schreibphasen und den lebendigen Begegnungen und Eindrücken auf seinen Reisen. Lesungen und Auftritte, Stipendien und Workshops führen ihn raus aus der umgebauten Garage, in der er sein kreatives Reich hat, führen ihn quer durch Deutschland und sogar bis nach Litauen.  

Das sind die Zeiten, in denen er seiner Familie in Hamburg fehlt, so hofft er. Ansonsten ist er für seine drei Kinder - zwei Mädchen und einen Jungen von acht, elf und 13 Jahren - gut greifbar. „Als Freiberufler kann man zwar kaum unterscheiden, wann man arbeitet und wann nicht, aber die räumliche Nähe ist ein großer Vorteil für das Familienleben.“ Lediglich zum Ende einer Geschichte hin, wenn die Abgabefrist näher rückt und Nachtschichten eingelegt werden mache er sicher auch mal einen gespenstischen Eindruck auf seine Umwelt.

Das Buch als Film


Sein Sohn liest seine Bücher (noch) nicht. Vielleicht wird er aber ins Kino gehen, denn der erste Teil der Stadtrand-Trilogie „Es war einmal Indianerland“ ist gerade verfilmt worden und soll im Laufe des Jahres auf die Leinwände kommen. Den Leser wird das nicht verwundern, denn Nils Mohls Geschichten sind Kino für den Kopf. Er selbst hat beim Schreiben nicht an eine Verfilmung gedacht, wie er sagt, wollte seine Geschichte aber so erzählen, dass sie „in der großen Konkurrenz des Kinos - dem Leitmedium des Erzählens - bestehen kann.“
 
Regisseur Ilker Çatak hat den Schriftsteller als Drehbuchautor und Berater eingebunden und auch bei den Dreharbeiten dabei sein lassen. Nils Mohl weiß das zu schätzen, ist es doch alles andere als die Regel. „Für mich war das ein großer Glücksfall, weil mich das Schreiben für den Film immer schon interessiert hat. Es war toll, auf diese Weise mitwirken zu dürfen.“  Eine Zusammenarbeit, die offensichtlich so fruchtbar war, dass Çatak und Mohl bereits an einem weiteren Projekt arbeiten. Diesmal schreibt Mohl nicht die Romanvorlage, sondern gleich das Drehbuch. Ach ja, und ein Jugendfilm wird es übrigens nicht.