schrift für blinde riesen

Kindheitserinnerungen gehören zu den wichtigsten, immer wiederkehrenden Motiven in der Literatur. Und sie sind auch im Lesepublikum, besonders bei der älteren Generation, sehr beliebt. In diesem Gedichtband von Lutz Seiler, der zuletzt besonders schrift für blinde riesen als Romanautor bekannt wurde, ist die Erinnerung an seine Kindheit im ostdeutschen Gera in vielen der Gedichte präsent. Aber es handelt sich hier nicht um eine durchgehende, chronologische Kindheitserzählung. Man muss sich da schon die Zeit nehmen, die Gedichte zu lesen und aufzunehmen, um in die Kindheit des Autors einzutauchen. "als kind hast du es bald entdeckt: das gute/ schmeckt oft nach besteck, es hat/ zu lang im schrank gelegen: silber/ & das feinverzierte tellergold & die/ terrine& und das zarte bowleglas aus beuthen,/...auch die fotos oberhalb dieser vitrine/ hatten den geschmack; geschmack/ wie tante nelly, bibelfest/". Aber in diesen Gedichten geht es nicht nur um Kindheitserinnerungen. Versteckt in poetische Verse ist auch die Gegenwart anwesend, sogar die in diesen Jahren alles überragende Pandemie. "29.märz 2020/ erst den teller fertig machen dann/ das küchenfenster fest verschließen & hernach/ den topf abgießen-/ dampf dampf dampf/ dampf der welt & untergang". Für Freunde zeitgenössischer, oft wortverspielter Lyrik ist die Lektüre des Bandes eine große Sprachbereicherung. Wer jedoch immer schon nur mit Mühen einen Zugang zu moderner Poesie gefunden hat, wird es schwer haben bei der Lektüre dieses Bandes.

Carl Wilhelm Macke

Carl Wilhelm Macke

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

schrift für blinde riesen

schrift für blinde riesen

Lutz Seiler
Suhrkamp (2021)

108 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 986415
ISBN 978-3-518-43000-2
9783518430002
ca. 24,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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