Filmzeit, Lebenszeit

90 Jahre alt ist der Filmemacher Edgar Reitz, dessen HEIMAT-Trilogie wie kaum ein anderes westdeutsches Nachkriegs-Filmepos regionale Mentalität und künstlerische Rückeroberung des Heimatbegriffs zeigt. Vor der HEIMAT liegen 48 Jahre des Uhrmachersohns, der sich früh bereits dem Film zuwandte und zusammen mit Alexander Kluge und weiteren prägenden Regisseuren des Aufbruchs in den neuen deutschen Film die westdeutsche Filmgeschichte prägte. Auf diesem Weg, der über Botendienste für den Bayrischen Rundfunk, Assistenz bei Willy Zielke, Industriefilmen und Lehre an der legendären Ulmer Hochschule für Gestaltung zur nicht ohne Rückschläge sich vollziehenden Karriere des „Heimatfilmer“ vollzog, kennzeichnen von Arbeits- in Liebesbeziehung übergehende Frauen, die nach neuen gesellschaftlichen Formen strebenden Kooperationen mit Kollegen und die Förderungen durch Fernsehredakteure die Lebensspur des Edgar Reitz. Wie ein derart disziplinierter und talentierter Regisseur es schafft, neben der Arbeit Zeit für Kinder und Liebesverhältnisse zu haben, mag die Leser/-innen erstaunen. Spannend lesen sich vor allem die frühen Erinnerungen an die Herkunftsfamilie im Hunsrück. Es ist ebenso fesselnd wie informativ, den Erlebnissen dieses westdeutschen Regisseurs zu folgen (dem verständlicherweise aus dieser Perspektive kein Wort über die DDR-Kollegen entfährt) und mit ihm ein plastisch geschildertes Bild der bundesdeutschen Geschichte von den Anfängen bis zum Ende des 20. Jahrhunderts zu erhalten. Der klare und erzählerisch eingängige Stil, in dem Edgar Reitz sich nicht nur im Film als Erzähler sui generis präsentiert, macht die Lektüre der über 660 Seiten zu einem Gewinn. - Empfehlung für alle Bestände.