Teil 1

Wir reden über Bücher – Sie auch?

Ein Literaturkreis ist eine Bereicherung

von Susanne Emschermann

Neulich in unserer Bibliothek sagt eine Frau zu einer anderen: „Das ist das furchtbarste Buch, das ich in meinem Leben je gelesen habe!“ Antwort: „Waaas?! Das ist doch ein Wahnsinnsbuch.“ Ich schmunzele hinter meiner Ausleihtheke und freue mich auf den nächsten Lesekreis. Bücher, die so kontrovers beurteilt werden, bringen die spannendsten Diskussionen.

Mit wem tauschen Sie sich über das Gelesene aus? Sind Sie in einem Literaturkreis oder gibt es in Ihrer Gemeinde noch keinen? Nein? Dann möchte ich Sie ermutigen, einen eigenen Kreis zu gründen. Es macht so viel Freude, sich mit mehreren Leuten über ein Buch auszutauschen, das alle gelesen haben.


Wer, wann, wo, wie oft - Fragen klären

Zuerst müssen Sie einige Fragen klären. Aber keine Sorge, alles halb so wild. Wer soll den Kurs leiten, wo und wann soll er stattfinden, wie oft wollen Sie sich treffen, wie viele Personen können teilnehmen, was wollen Sie lesen? Natürlich können Sie beim zuständigen Bildungswerk, bei der Volkshochschule oder beim örtlichen Gymnasium nachfragen, ob es dort einen Referenten gibt. Versuchen Sie es jedoch einfach selber. Sie lesen gerne, Sie sind kommunikativ, Sie arbeiten in einer KÖB? Sie können das garantiert! Sie brauchen einen Raum, in dem sich der Kreis treffen kann. Ist dies in Ihrer Bücherei außerhalb der Öffnungszeiten möglich? Gibt es ein Café oder eine nette Gaststätte, die über einen Nebenraum verfügen? Diskutieren macht durstig, die Wirtsleute würden von Ihnen profitieren. Auch Pfarrheime, Schulen oder Vereinsräume sind als Veranstaltungsorte denkbar. Wir treffen uns im Gruppenraum der Messdiener.

Wie oft möchten Sie den Gesprächskreis abhalten? Sie können sich einmal im Monat treffen, alles sechs Wochen oder einmal im Vierteljahr. Sie haben es in der Hand. Wie passt ein solcher Kreis in Ihren Terminplan? Meine Kreise finden einmal im Monat statt. Wir besprechen an jedem Abend ein Buch. Wer Theaterkarten hat, im Urlaub ist oder auf die Enkelkinder aufpassen muss, verpasst dann nur das Buch für den jeweiligen Monat. In manchen Kreisen wird ein Buch an mehreren Terminen besprochen. Was liegt Ihnen eher? Es gibt Vormittagskurse mit kleinem Frühstück, Nachmittagskurse mit Kaffee und Plätzchen und Abendkurse mit Wein, Wasser und Knabberzeug. Letzteres ist mein Favorit!

Sie brauchen Teilnehmer/innen? Wahrscheinlich kennen Sie einige Leser aus Ihrer Bücherei, die Sie ansprechen können. Wie viele Personen sollen es sein? Sie wollen sicher keine Vorlesung vor einem riesigen Auditorium halten. Ich empfehle zehn bis zwölf. Da ist ein Austausch immer noch möglich. Wenn Ihnen spontan keine zwölf Leute einfallen, setzen Sie einen kleinen Artikel in Ihren nächsten Pfarrbrief oder die Stadtteilzeitung. Es werden sich ausreichend Leute melden, versprochen! Aus einem Kreis sind in unserer Gemeinde inzwischen vier geworden. Immer, wenn die Warteliste auf 10 – 12 angewachsen ist, habe ich einen neuen Kreis aufgemacht. Zu Beginn reicht natürlich ein Kreis.


Was ist noch wichtig?

Sie brauchen ein paar Regeln. Wir reden nacheinander, lassen den jeweiligen Redner aussprechen und fangen nicht mit unserem Nebenmann ein Gespräch an! Sie meinen, es sei überflüssig, darauf hinzuweisen? Warten Sie es ab. Wenn Sie möchten, dass die Diskussion ein bisschen diszipliniert abläuft, müssen Sie immer wieder darauf hinweisen. Wenn die Gruppe vom Thema abschweift, können Sie dem selbstverständlich ein bisschen Raum geben, müssen aber dann behutsam zum Buch zurückfinden. Es gibt Dampfquassler und Schweiger, eventuell müssen Sie die einen ein bisschen bremsen und die anderen ermutigen. Wer an einem Literaturgesprächskreis teilnimmt, möchte sich in der Regel austauschen. Ein jeder traut sich aber nicht sofort, in einem fremden Umfeld seine Meinung zu äußern.

Wichtiger als germanistisches Fachwissen sind meiner Ansicht nach etwas psychologisches Geschick, Gelassenheit und Humor. Und natürlich Freude am Lesen, aber die setze ich als gegeben voraus.

Wie bereiten Sie sich nun auf Ihren ersten Abend, oder vielleicht Nachmittag vor? Natürlich sollten Sie das Buch gründlich gelesen haben. Falls die Zeit reicht, empfehle ich auch eine zweite Lektüre. Da werden Ihnen wieder andere Aspekte auffallen. Schreiben Sie sich ein paar Dinge auf, die Ihnen wichtig scheinen: Thema des Buches, Haupt- und Nebenfiguren, welche Probleme werden angesprochen, welche Lösungswege aufgezeigt, ist die Darstellung glaubhaft, hat das Buch mehr als eine Ebene? Anschließend recherchiere ich ein bisschen zum Autor, zum Werk, zum Thema, zum geschichtlichen Hintergrund. Ich mache mir dazu ein paar Notizen, aber nie mehr als eine Seite. Sie können zum Einstieg ein bisschen davon erzählen. Sie werden aber schnell merken, dass die Teilnehmer darauf brennen, über Ihre Leseeindrücke zu sprechen. Wer einen germanistischen Vortrag erwartet, geht ohnehin lieber an die Universität.

Eine mögliche Einstiegsfrage wäre: Wie hat Ihnen das Buch gefallen? Würden Sie den Titel weiterempfehlen? Welche Figur war Ihnen am sympathischsten oder am unsympathischsten? Zu Beginn sollte jeder nur ein kurzes Statement abgeben, sonst ist die erste Stunde um bevor alle einmal zu Wort gekommen sind. Aus der Eröffnungsrunde ergibt sich schnell eine Richtung, in die die Diskussion steuert. Das ist nicht unbedingt die, die Sie erwartet oder geplant haben. Lassen Sie sich überraschen und seien Sie spontan! Wenn das Gespräch selten einmal stockt, gucken Sie auf Ihren Spickzettel und stellen Sie eine überraschende Frage. Wie hätten die Leser reagiert? Hätten sie sich einen anderen Schluss gewünscht, oder ähnliches.


Dann endlich geht´s los

Wenn es dann endlich losgeht und sich Ihre Nervosität ein bisschen gelegt hat, dann beginnt der schönste Teil. Selber lesen ist toll, aber darüber sprechen ist noch toller. Ich habe spannende, interessante, lustige und traurige Abende erlebt, aber nie einen langweiligen. Sie werden hinterher den Eindruck haben, 10 Bücher gelesen zu haben. Sie können so gut vorbereitet sein, wie Sie wollen, es wird immer wieder Aspekte geben, die Sie nicht bedacht haben. Unterschiedliche Leser bringen unterschiedliche Lese- und Lebenserfahrungen mit.

Nie werde ich einen Literaturkreis im Dezember vergessen, in dem wir das Buch „Brief an Sally“ von Charles Chadwick besprochen haben. Eine alte Frau blickt mit leiser Wehmut auf ihr Leben zurück. Am Ende des Abends fragte eine Teilnehmerin, wie wir wohl eines Tages zurückblicken werden. Sie erzählte, dass ihr Mann sich nach 30 Jahren Ehe von ihr getrennt hätte und dass der Literaturkreis eine ungeheure Stütze für sie wäre. Eine Dame erzählte von einer schweren Gehirnerkrankung, eine vom Krebsleiden ihres Enkels. Alle hatten plötzlich Tränen in den Augen. Obwohl wir über traurige Dinge sprachen, war eine Verbundenheit im Raum, die ich kaum beschreiben kann.

Ich wünsche Ihnen viele solcher magischer Momente in Ihren Literaturkreisen. Es wäre schön, wenn Sie der Redaktion Ihre Erfahrungen mitteilen könnten. Ich stehe für Hilfestellungen gerne zur Verfügung. Im deutschsprachigen Raum gibt es leider kaum Titel, die sich mit der Organisation von Literaturkreisen beschäftigen. Englischsprachige Bücher finden sich einige. Für Unentschlossene und Zweifelnde: kaufen Sie sich „Das Lesekreisbuch“ von Thomas Böhm, dem ehemaligen Leiter des Literaturhauses Köln, hier finden Sie alles Wichtige ausführlich dargestellt.


Ein Plus für Jeden

Trauen Sie sich wirklich, ein Literaturkreis ist eine Bereicherung für jede Gemeinde. Ich habe das auch nicht „gelernt“, ich bin langsam darein und daran gewachsen. Zwischendurch habe ich sogar mal im Lesekreis eines „Profis“ an der VHS geschnuppert. Ich verrate Ihnen ein Geheimnis, auch dort wird nur mit Wasser gekocht.

Die spannendste Frage, was wollen wir lesen, behandele ich in der nächsten Ausgabe der Bibliotheke!

Susanne Emschermann ist freie Autorin und Büchereileiterin der KÖB St. Dionysius in Niederkassel am Rhein.