So viel Leid - und Gott?
Die Schriftstellerin Rosemarie Egger hat die klassische Frage nach Gott und dem Leid zusammen mit einigen anderen Fragen verschiedenen Theolog*innen gestellt, darunter dem Priester und Autor Gotthard Fuchs, Pfarrerin Beate Neukomm und dem Theologen und Psychotherapeuten Wunibald Müller. Über die Frage nach dem Leid hinaus geht es um Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Was ist darunter zu verstehen? Was heißt Lieben eigentlich? Führt Gott in Versuchung? Ist die Hölle leer, gibt es sie überhaupt? Ihre Fragen und die verschiedenen Antworten hat Egger in diesem Buch in einer Art Kaleidoskop zusammengeführt, ergänzt von einem Essay des Theologen Wolfgang Beinert, der darin fragt, ob Gott noch von der Welt zu retten sei. Auf diese Weise werden unterschiedliche Zugänge zu den Fragen nach dem Leid in Gottes Schöpfung sichtbar und regen dazu an, die eigene Position dazu zu bedenken. So unterschiedlich die Antworten ausfallen mögen, eint sie doch die Überzeugung, dass die Welt es mit einem Gott zu tun hat, der liebt und das Heil aller Menschen will. Deutlich wird das zum Beispiel bei den Antworten zur Frage, ob Gott am Ende alle Menschen empfangen wird. Wolfgang Beinert weist darauf hin, dass wir das (natürlich) nicht wissen können, aber hoffen dürfen. Für ihn ist nicht vorstellbar, dass Gott sein liebendes Ja zu einem Menschen zurückzieht und deshalb Wege finden wird, auch das Nein eines Menschen zu ihm zu wandeln. Beate Neukomm antwortet kurz und bündig: "Ja, ich glaube, dass Gott alle empfängt. Wieso hätte er uns erschaffen sollen, wenn wir nachher ins Nichts vergehen?" Und Christoph Wrembek erinnert an Jesu Besuch bei Zachäus. Nach dem Lukas-Evangelium sagt Jesus bei dieser Gelegenheit: "Ich bin gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist" (Lk 19,10). Die Ausgangsfrage nach dem Leid ist - da sind sich die Autor*innen einig - nicht zu beantworten und Teil der Unbegreiflichkeit Gottes. Dennoch ist es wichtig, diese Frage zu stellen, sie Gott zu stellen und darauf zu vertrauen, dass "er den Menschen zugewandt ist und sie auffängt" (Magda Motté). Manche Antworten fallen abstrakter aus, andere sind näher an der Erfahrungswelt, aber keine überfordert theologisch durchschnittlich gebildete Menschen; einige dürften sich auch zum Einsatz im Religionsunterricht eignen. Sie bieten Stoff zum Nachdenken und Darüber-Sprechen, ideal für die geistliche Reise durch die Advents- oder Fastenzeit.
Christoph Holzapfel
rezensiert für den Borromäusverein.
So viel Leid - und Gott?
Wolfgang Beinert und Rosemarie Egger (Hg.)
Verlag Neue Stadt (2022)
183 Seiten
kt.
Auszeichnung: Religiöses Buch des Monats
Lob des unvollkommenen Lebens
Selbstoptimierung ist in unserer Wettbewerbsgesellschaft ein wichtiges Ziel geworden, denn wir wissen genau: wer irgendeine Schwäche zeigt, gerät auf die Verliererstraße... Paolo Scquizzato hält diesem gefährlichen Trend ein „Lob des unvollkommenen Lebens“ entgegen. Kann es nicht unglaublich befreiend sein, auch einmal fünf gerade sein zu lassen? Gewiss – doch geht es dem Turiner Seelsorger, in Italien ein bekannter Autor spiritueller Literatur, noch um weit mehr. Nicht nur ein psychologischer Balanceakt ist nötig, um unsere Seele nicht zu überfordern und krank zu machen, unsere grundlegende Weltsicht und Lebenshaltung entscheidet sich an dieser Frage. Scquizzato stellt an den Beginn seines Buches ein anschauliches Bild: Eine kostbare Perle ist im Grunde eine vernarbte Verletzung einer Muschel. Und das heißt nicht nur, dass Verletzungen geheilt werden können, sondern auch, dass Perlen überhaupt nur da entstehen können, wo es Verletzungen gibt. Eine unverletzte Muschel bleibt glatt und leer. Wir denken immer, wir müssten möglichst fehlerlos und perfekt sein, um von anderen akzeptiert zu werden, um Gott gefallen zu können. Doch "im Licht des Evangeliums zeigt sich, dass ausgerechnet dort, wo unser Inneres wie das der anderen verschattet und begrenzt ist, DER Ansatzpunkt einer befreienden Heilserfahrung liegt". Für Scquizzato ist die Bibel voller Beispiele, wie Wunden zu Gelegenheiten werden, zu vergeben und zu lieben - und eben das ist die Substanz, die unsere Verletzungen so umhüllen kann, dass sie zu Perlen werden: die Liebe. Das Evangelium zeigt uns, dass Jesus in die Welt gekommen ist, um uns die bedingungslose Liebe Gottes zuzusagen, um uns die Angst zu nehmen, wir könnten vor Gott nicht bestehen wegen unserer Fehler und Sünden, dabei will Gott uns gerade in unserer Unzulänglichkeit mit seiner Liebe beschenken. Der Weg zur Heiligkeit ist nach Scquizzato darum nicht der Versuch, ein moralisch untadeliges Leben zu führen, vielmehr das Eingeständnis unserer Unvollkommenheit und Bedürftigkeit - nur so können wir von Gott beschenkt werden. Ein christliches Leben zu führen, heißt darum, den "Weg der Zerbrechlichkeit" (so der italienische Untertitel) zu gehen. Die Bekehrung, von der die Bibel spricht, ist unser Eingeständnis, voller Begrenztheiten, Verwundungen und Schuld zu sein - und uns gerade so von Gott geliebt zu wissen. An einigen Bibelstellen zeigt der Autor auf, dass der einzige Weg, in Fülle zu leben, der Weg der Zerbrechlichkeit und Schwachheit ist. Der Weg Jesu bis ans Kreuz hat gezeigt, dass die Logik Gottes völlig anders ist als die der Menschen. Das Lamm, das geopfert wird, gewinnt am Ende das ewige Leben. Wir müssen zwar im Leben auch viel Leid ertragen, aber wir dürfen das Vertrauen haben, dass Gottes Liebe am Ende immer siegt. "Seine Liebe siegt selbst da, wo sie unterliegt: Im Scheitern am Kreuz hat sie den größten Sieg errungen." Dieses Vertrauen auf Gottes Liebe kann uns durch allen Schmerz und all unser eigenes Versagen hindurchtragen. "Glauben heißt also den lieben, der uns zuerst geliebt hat." Natürlich ist es nicht egal, wie wir unser Leben führen, die Gnade Gottes macht zwar keine Voraussetzungen, aber ihre Gabe wird auch zur Aufgabe, die Liebe, die Gott uns zusagt, erfordert auch eine Antwort. Doch muss es uns nicht verzweifeln lassen, dass wir diese Antwort immer nur unzureichend zu geben vermögen, dass wir immer wieder hinter dem Anspruch der Liebe gegenüber Gott und den anderen Menschen zurückbleiben: die Barmherzigkeit Gottes ist nicht begrenzt, wir dürfen die Gnade der Bekehrung immer wieder neu von Gott erbitten. "Wobei Sich-Bekehren nicht heißt, nicht mehr zu sündigen (so sehr wir das auch möchten!), sondern die Liebe Gottes in unserer Schwachheit und Sünde zu erfahren." Das Buch von Paolo Scquizzato ist eine wunderbare Ermutigung, sich die Grundlagen des christlichen Glaubens neu bewusst zu machen und so immer wieder zurückzufinden zu dem Leben in Fülle, das uns dieser Glaube eröffnet.
Thomas Steinherr
rezensiert für den Borromäusverein.
Lob des unvollkommenen Lebens
Paolo Scquizzato ; ins Deutsche übertragen von Stefan Liesenfeld
Verlag Neue Stadt (2022)
95 Seiten
fest geb.
Auszeichnung: Religiöses Buch des Monats
Auf du und du
„Beten ist überhaupt keine Kunst, sondern eher ein Handwerk“, stellt Stefan Jürgens in seiner kleinen Gebetsschule fest. Der Pfarrer von Ahaus, der als Sprecher des Worts zum Sonntag bekannt wurde und mehrere Bücher geschrieben hat, hat darin seine Gebetserfahrungen zusammengestellt. Beten lernen lebt – wie jedes Handwerk - davon, dass man es tut – und dazu ermutigt er die Leser*innen mit vielen Tipps und Texten, die gebetet und bedacht werden möchten. Von den vier Kapiteln sind zwei eher grundsätzlicher Natur und zwei praxisbezogen. Die beiden Kapitel „Zu wem beten?“ und „Was beten heißt“ klären, was christliches Beten im Unterschied zu anderen Religionen bedeutet. Für Christen ist Gott kein fernes Wesen, keine anonyme Macht, sondern „Vater“ („Abba“, also Papa, hat Jesus ihn genannt – und im „Vater unser“ eigeladen, ihn ebenfalls so anzusprechen). Gott ist ein Gegenüber, das der Beter nicht erst suchen oder herbeibeten muss, vielmehr ist sie schon längst auf die Beterin zugekommen. Für Christen ist Beten Beziehungspflege. Jürgens unterscheidet zwischen Religion und Glaube, um das entscheidend Christliche des Betens deutlich zu machen. Ein religiöser Mensch meint, etwas leisten zu müssen, um etwas zurückzubekommen. Dagegen vertraut der gläubige Christ darauf, „dass ihm mit Christus bereits alles geschenkt ist.“ Kritisch merkt der Autor an, dass die religiöse Frömmigkeit auch im Christentum weit verbreitet war – und bis heute noch in vielen Köpfen sitzt, selbst bei Amtsträgern. Pfarrer Jürgens betont, dass Beten Regelmäßigkeit und Struktur braucht. „Treue geht vor Qualität, wie in jeder Beziehung.“ Christliches Beten ist außerdem immer zweckfrei. Er vergleicht es mit dem Abendessen in der Familie, das zwanglos stattfindet, keine Tagesordnung kennt und dessen Sinn darin besteht, zusammen zu essen. Im Kapitel „Wie beten geht“ stellt der Autor verschiedene Gebetsweisen vor, das Gebet mit der Bibel z.B. oder den Rosenkranz. Er zeigt, wie Gebete dem Tag (und dem Beten) Struktur geben. Morgens schlägt er ein Gebet vor dem Spiegel vor, das dem Menschen, der einem aus dem Spiegel entgegenblickt, versichert: Du bist von Gott geliebt. Abends ein kurzes Gebet „mit der Türklinke in der Hand“, mit dem man Gott die Sorgen des Tages anvertraut. Das private Fürbittgebet sieht er als eine Form der Solidarität, das dafür sorgt, dass die Welt in mein Gebet einfließt. Im Kapitel „Beten und Leben“ geht es um das Beten mit Kindern und in der Familie. Auf leicht fassbare, sehr lebensnahe Weise führt Stefan Jürgens ins „Handwerk“ des Betens ein. Das Buch wendet sich an Menschen, die Beten (wieder) lernen möchten, genauso wie an jene, die beten, aber ein Update brauchen, vielleicht weil sie mit ihrer Gebetspraxis unzufrieden sind. Vor allem aber ist das Buch eine Einladung, einfach anzufangen. (Religiöses Buch des Monats Oktober)
Siegfried Heinemann
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Auf du und du
Stefan Jürgens
Patmos Verlag (2022)
149 Seiten
fest geb.
Auszeichnung: Religiöses Buch des Monats
Frömmigkeit und Glück
Das Streben nach Glück ist wohl allen Menschen gemeinsam. Mehr denn je sind die Menschen aber heute auf der Suche nach den richtigen Wegen zum Glück - die Orientierungen, aus denen heraus wir leben, sind nicht mehr so selbstverständlich, wie sie es lange Zeit waren. Darum versucht seit einigen Jahrzehnten eine empirische Glücksforschung herauszufinden, auf welchen Wegen Menschen, die sich als glücklich bezeichnen, zu diesem Lebensglück gefunden haben. Der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Heinrich Bedford-Strohm, beschäftigt sich schon seit einiger Zeit mit dieser Glücksforschung und hat festgestellt, dass die Inhalte, auf die Glücksforscher kommen, auch in der Bibel im Zentrum stehen. Sein neues Buch betrachtet deshalb den Zusammenhang von Glück und Religion, wobei sich Bedford-Strohm bewusst für das etwas altmodisch klingende Wort Frömmigkeit entschieden hat, denn dieser traditionelle Begriff drückt seiner Ansicht nach am besten jene "Lebenshaltung aus, die das eigene Leben in den Horizont der Beziehung zu Gott stellt und diese Beziehung auch pflegt". Bevor danach gefragt wird, was denn nun den Menschen glücklich machen kann, weist Bedford-Strohm jedoch auf eine Besonderheit der christlichen Perspektive hin: Erfahrungen des Leidens werden nicht als unvereinbarerer Gegensatz zum Glücklichsein verstanden, sondern als etwas, das in eine tiefere Glücksperspektive zu integrieren ist. Glück ist einerseits natürlich ein Hochgefühl, andererseits muss man aber auch feststellen: "Glück im umfassenden Sinne heißt eben in guten wie in schweren Tagen sich getragen und geborgen fühlen zu dürfen". Aus dieser Perspektive heraus ist es zu verstehen, wenn Jesus in der Bergpredigt, die Armen, Benachteiligten, Beladenen, "die da Leid tragen" seligpreist. "Wir Christen leben aus der Überzeugung, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Wir wissen um das Licht der Auferstehung, selbst dann, wenn unsere Gefühle nur noch Passionsgefühle sind." Vor diesem Hintergrund vergleicht Bedford-Strohm nun die einzelnen konkreten Ratschläge der Glücksforschung mit den biblischen Aussagen, und hier ist wirklich eine erstaunliche Deckungsgleichheit zu beobachten. Dankbarkeit, Zuversicht, Liebe, Leben in der Gegenwart, Vergebungsbereitschaft - das sind wirklich alles Kernthemen der biblischen Botschaft, und Gebet und Gottesdienst helfen dem Menschen, diese Lebenshaltung immer mehr einzuüben. Ein eigenes Kapitel widmet sich dem Thema Geld und Glück. Während in unserer Gesellschaft Geld als ein sehr wichtiger Faktor zum Glücklichsein betrachtet wird, gibt es in der Bibel viele Passagen, vor allem in der Verkündigung Jesu, die materiellen Reichtum äußerst kritisch sehen. Doch hier möchte der Landesbischof differenzieren - bei genauer Betrachtung geht es in der Bibel an den relevanten Stellen eigentlich meist um soziale Gerechtigkeit, eine Romantisierung der Armut ist der Bibel dagegen fremd. Zum Schluss nimmt Bedford-Strohm noch zwei wichtige Aspekte in den Blick. Zum einen, dass Frömmigkeit nicht als der Königsweg zum Glück verzweckt werden darf. "Wer sich auf Frömmigkeit als Mittel zum Zweck eines glücklichen Lebens einlässt, wird scheitern." Zum anderen müssen sich alle an Christus Glaubenden fragen, ob Glück in seiner ganzen Tiefe nicht dem ewigen Leben vorbehalten ist. Im Grunde ist es natürlich so, und doch empfiehlt Bedford-Strohm in diesem Zusammenhang einen Perspektivenwechsel: Nicht so sehr das "Noch-nicht", sondern eher das "Jetzt-schon" in den Blick zu nehmen, denn auch im jetzigen irdischen Leben scheint immer wieder schon die Fülle des ewigen Lebens auf, gibt es Momente, in denen sich der Himmel für uns bereits öffnet. Insgesamt darf man dieses Buch wirklich als eine ganz große Ermutigung verstehen, das Leben vertrauensvoll und zuversichtlich als Geschenk Gottes dankbar anzunehmen und im Bewusstsein seiner Liebe und seines Segens zwar nicht frei von jeglichem Leid, aber dennoch durchaus glücklich zu leben.
Thomas Steinherr
rezensiert für den Borromäusverein.
Frömmigkeit und Glück
Heinrich Bedford-Strohm
Claudius Verlag (2022)
128 Seiten
fest geb.
Auszeichnung: Religiöses Buch des Monats
Zusammenhalten
Vor einem Jahr brach die Flutkatastrophe über das Ahrtal, Teile des Rheinlands und der Eifel herein. Die Verwüstungen, die die bis zu 10 Meter hohe Flutwelle im Ahrtal angerichtet hat, sind unvorstellbar, die Spuren bis heute unübersehbar - sowohl die an und in Gebäuden (sofern sie noch stehen) als auch die, die die Ereignisse bei den Menschen hinterlassen haben. - Jörg Meyrer, Pfarrer von Bad Neuenahr-Ahrweiler, beschreibt, wie er die Flut und die Tage danach erlebt hat, erzählt von Begegnungen mit Menschen aus dem Ahrtal und den Helfern, die in den Tagen, Wochen, Monaten danach angepackt haben und gezeigt haben, wie solidarisch unsere Gesellschaft sein kann. - Von Anfang an, also vom 15. Juli an, war Meyrer klar, wo die Kirche in dieser Situation hingehört: „auf die Straße, zu den Menschen. - Mal konkret beim Anpacken. Mal beim Nachfragen und Zuhören. Oder von Haus zu Haus.“ Dadurch wurden Meyrer und die Kirche im Ahrtal in ein Netzwerk aus professionellen und freiwilligen Helfern eingebunden, das die Not zu lindern versuchte und das Aufräumen organisierte. Zuhören, da sein, anpacken, motivieren, Perspektiven bieten – darin sahen Meyrer, seine Mitarbeiter*innen und die vielen anderen Seelsorger*innen, die aus dem Bistum Trier ins Ahrtal kamen, nach der Flut ihre Aufgabe. Meyrer verschweigt auch nicht, dass ihn die Flutkatastrophe auch geistlich getroffen hat. Fünf Tage nach der Flut postete er auf seinem Facebook-Account: „Ich kann nicht mehr beten. Es geht nicht. Die vertrauten Worte passen nicht mehr.“ Ein Psalm, verfasst von seinem Studienkollegen Stephan Wahl, hat ihm die Worte wiedergegeben: „Alles wurde mir genommen. Alles! / Weggespült das, was ich mein Leben nannte. Mir blieb nur das Hemd nasskalt am Körper, / ohne Schuhe kauerte ich auf dem Dach. Stundenlang schrie ich um Hilfe, / um mich herum die reißenden Wasser.“ - Geholfen hat Meyrer außerdem, dass andere stellvertretend beten - für ihn wie für alle von der Flut betroffenen Menschen. Eine Frage zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch: Welche Folgen hat die Flut für die Arbeit der Kirche? Seit der Flut ist er mehr denn je überzeugt, dass die Kirche an die Seite der Menschen gehört. Als Begleiterin, die Nichtwissen und Dunkelheit aushält, die sich ihrer eigenen Schuld bewusst ist und zu den Menschen steht, unabhängig davon, ob sie zur Kirche gehören oder nicht. Dieses Buch ist eine gelungene Verknüpfung aus Reportage und Nachdenklichkeit. Der Text ist gerade durch die Facebook-Posts von Meyrer dicht an den Ereignissen. Man kann das Buch kaum lesen, ohne einen Kloß im Hals zu spüren, weil man bestürzt ist von der Zerstörung und zugleich tief angerührt von der Hilfsbereitschaft der Menschen und dem geistlichen Mut, der auf jeder Seite sichtbar wird. (Religiöses Buch des Monats August)
Christoph Holzapfel
rezensiert für den Borromäusverein.
Zusammenhalten
Jörg Meyrer
Bonifatius (2022)
256 Seiten : zahlreiche Illustrationen
fest geb.
Auszeichnung: Religiöses Buch des Monats
Der große Bibel (Ver-)führer
Die Bibel ist zweifellos das meistgelesene Buch der Welt. Doch nimmt die Kenntnis der biblischen Geschichten in den letzten Jahrzehnten rapide ab. Und selbst wenn jemand die Bibel gut kennt – kennt man sie jemals gut genug? Georg Langenhorst vertritt die Überzeugung, dass man die Bibel immer wieder und immer wieder neu lesen sollte, nicht unbedingt, um mehr Wissen darüber zu sammeln, vielmehr um sich von diesen Texten, ihren Geschichten und ihren Gestalten wirklich ergreifen zu lassen. Um das zu erreichen, hat der Autor neue Zugänge zu den biblischen Büchern gewählt, die auf Unbekanntes, Überraschendes oder oft Übersehenes hinweisen oder aber auch Bekanntes aus einer neuen Perspektive zeigen wollen. Es sind selbst literarische Annäherungen an die biblischen Geschichten, kreative Aneignungen oder Fortschreibungen des bekannten Bibeltextes, die zu einer ersten oder erneuten Begegnung mit ausgewählten biblischen Geschichten und Gestalten einladen wollen. Die Vielfalt der literarischen Gattungen innerhalb der Bibel wird dabei konsequenterweise in einer bunten Auswahl verschiedenster vorgeschlagener Zugänge widergespiegelt. So unterhalten sich beispielsweise die beiden prominenten Josefsgestalten der Bibel, der zweitjüngste Sohn Jakobs, den seine Brüder nach Ägypten verkauft haben, und der Ehemann Marias und Ziehvater Jesu, miteinander über ihre Träume, in denen Gott zu ihnen gesprochen hat. Oder der Prophet Jona schreibt einen Brief an eine Schülerin in unserer Gegenwart, in dem er ihr sein Verhalten zu erklären versucht. Jiftachs Tochter überlegt in den zwei Monaten, die sie sich vom Vater erbeten hat, ob er wohl in dieser Zeit einsehen wird, dass Gott die Opferung seiner Tochter nicht von ihm verlangt, so wie er es letztlich auch von Abraham nicht verlangt hatte… Oder die Schwester der beiden Brüder im Gleichnis vom verlorenen Sohn schildert ihre Sicht der Dinge. Ein Reporter interviewt den Wirt, bei dem der barmherzige Samariter den Verletzten untergebracht hat. Es gibt einen Brief an Gott, den Schöpfer der Welt, über noch ausstehende weitere Schöpfungstage; ein Gedicht, das Petrus Fragen stellt – am Ende aber erkennt, dass auch Petrus uns diese Fragen stellt; und sogar eine „Abrechnung“ mit Paulus. Es findet sich das Testament der Batseba – in zwei völlig unterschiedlichen Versionen; und die Erinnerung eines Schriftgelehrten an seine Begegnung mit dem zwölfjährigen Jesus im Tempel. Insgesamt 54 Denkanstöße, in sechs thematischen Kapiteln zusammengefasst, jeweils die Hälfte zum Alten und zum Neuen Testament, wobei einige Beiträge diese Trennung übergreifen. Egal, ob man nun den vorgetragenen Gedanken oder Sichtweisen zustimmt oder widersprechen möchte, ob man gerne weiter differenzieren würde oder zu weiteren Überlegungen angestiftet wurde, ob man zur Übertragung des Gelesenen auf andere biblische Geschichten angeregt oder auf ganz neue eigene Ideen gebracht wurde – die Texte erreichen in jedem Fall, dass man sich selbst zu den biblischen Erzählungen in ein Verhältnis setzt, dass man spürt: es geht immer auch darum, wie die Bibel mich anspricht, was sie mir persönlich für mein Leben sagen will und wie ich mich dazu verhalte. Es ist ein etwas ungewöhnlicher Ansatz, der zunächst ein Stück weit von der Bibel abrückt, um gerade dadurch umso eindringlicher wieder zur Bibel zurückzuführen. Insofern ist der Buch-Titel „Der große Bibel(Ver-)führer“ wirklich eingelöst und man kann dem Buch nur möglichst viele Leserinnen und Leser wünschen – denn ob nun eher bibelfern oder eher bibelfest spielt dabei zum Glück gar keine Rolle! (Religiöses Buch des Monats Juli)
Thomas Steinherr
rezensiert für den Borromäusverein.
Der große Bibel (Ver-)führer
Georg Langenhorst
Verlag Katholisches Bibelwerk (2022)
319 Seiten
fest geb.
Auszeichnung: Religiöses Buch des Monats
Mitmensch Gott
„Herr der Töpfe und Pfannen, ich habe keine Zeit, eine Heilige zu sein ... Mache mich zu einer Heiligen, indem ich Mahlzeiten zubereite und Teller wasche ... Kannst Du meinen Spüllappen als einen Geigenbogen gelten lassen, der himmlische Harmonie hervorbringt auf einer Pfanne? Sie ist so schwer zu reinigen und ach, so abscheulich!“ Dieser tiefe Seufzer aus dem Haushalt stammt von Teresa von Ávila (1515-1582) und bezeugt gleich dreierlei: auch Heilige müssen spülen und den Haushalt machen - und selbst dort ist Zeit für ein Gebet, zu dem keine Formeln oder frommen Worte nötig sind. - Der Theologe Johannes Schleicher geht noch einen Schritt weiter: Auch zwischen Töpfen und Pfannen, Windeln und Bügelwäsche ist Gott da. Er muss nicht erst herbeigebetet oder herbeigesungen werden, seine Anwesenheit bei und in mir und Ihnen, in jedem Menschen ist von Dauer. Dieses Bewusstsein von der Anwesenheit Gottes mitten im Leben bezeichnet Schleicher als „mystische Spiritualität“. - Sie sei allen Menschen zugänglich und nicht den religiösen Profis vorbehalten, betont Schleicher. Ein „Mystiker ist einfach jemand, der vom bloßen Glauben und den dazugehörigen Systemen [Glaubenslehre, Dogmen usw.] zur tatsächlichen inneren Erfahrung Gottes übergegangen ist, der also nicht Gott sucht, sondern sich von Gott gefunden weiß.“ - Mystik ist also ein sehr einfaches Konzept, eine Haltung, die eingeübt werden muss, und keinesfalls ein religiöser Hochleistungssport. „Das Einzige, was uns von Gott trennt“, zitiert der Autor den Mystiker Thomas Keating, „ist unser eigener Gedanke, dass wir von Gott getrennt sind“. - Johannes Schleicher zeigt, dass diese Gottunmittelbarkeit sich wie ein roter Faden durch die Bibel zieht, und stellt Christ*innen vor von Hildegard von Bingen über Teresa von Ávlia bis zu Frère Roger und David Steindl-Rast, die mystische Spiritualität gelebt und gelehrt haben oder das noch tun. - Am Ende eines jeden Kapitels bietet er „Übungen für den Alltag“ an, die den Leser*innen helfen sollen, einen Zugang zur mystischen Spiritualität zu finden, z.B.: „Ich suche Gott nicht im Alltag, an bestimmten Orten oder in Dingen, sondern mache mir bewusst, dass Gott gegenwärtig ist und in unserem Herzen wohnt.“ - Schleicher macht es seinen Leser*innen leicht, diesen Zugang zu finden. Eine Portion Neugier, dem roten Faden Mystik in der Bibel zu folgen, reicht, um von diesem Buch zu profitieren. Die Aufgaben, die in das Wie mystischer Spiritualität einführen, sind einfach und tatsächlich auch zwischen Töpfen und Pfannen, beim Elterntaxi, am Rande des Fußballplatzes oder am Computer einzuüben. Ein Buch, das nachhaltig die Spiritualität einer jeden Christin und eines jeden Christen fördert, sehr wichtig in Zeiten, in denen die Kirchenstrukturen sich so stark verändern wie jetzt. (Religiöses Buch des Monats Juni)
Christoph Holzapfel
rezensiert für den Borromäusverein.
Mitmensch Gott
Johannes Schleicher
Vier-Türme-Verlag (2022)
157 Seiten : Illustrationen
fest geb.
Auszeichnung: Religiöses Buch des Monats
Freie Räume für mehr Leben
Wir Menschen sehnen uns immerzu nach mehr, auch wenn wir nicht immer genau wissen, worin wir unser Lebensglück eigentlich finden können. "Ein Mehr an Leben braucht Entschiedenheit, mitunter auch ein Loslassen", sagt Wolfgang Öxler, Erzabt der Benediktinerabtei St. Ottilien. Ein Zuviel kann ebenso unfrei machen wie der Mangel, auf das "rechte Maß" kommt es an, wie der Gründer des Benediktinerordens, der heilige Benedikt von Nursia, immer wieder betont hat. Es geht also vor allem darum, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen, um der Seele echte Freiräume zu verschaffen. Aber wie können wir diese "freien Räume für mehr Leben" erlangen? Zum einen ist eine gewisse Ordnung nötig, die uns hilft, den Überblick zu behalten. Ein strukturierter Tagesablauf und bestimmte Rituale können dabei eine große Hilfe sein - auch das kann man sehr gut vom Ordensleben lernen. Zum anderen muss man sich vor allem bewusst machen, dass mehr Leben nicht durch "mehr haben" entsteht. Nicht der materielle Besitz ist entscheidend für unser Lebensglück - aber auch nicht die Leistung oder der Erfolg. "Es kommt im Leben nicht so sehr auf das an, was bei unserem Tun herauskommt, sondern darauf, was in uns Platz findet", stellt der Erzabt in eindrucksvoller Deutlichkeit fest. Das entscheidende Mehr in unserem Leben besteht darum in "mehr Glaube, Hoffnung und Liebe". Die einzelnen Kapitel des Buches betrachten nun verschiedene "Räume" unseres Lebens, in denen ein solches Mehr an Leben möglich ist, in denen unsere Seele ihre Freiheit finden kann. Dass dabei Begriffe wie "Zeitraum" oder "Freiraum" eine wichtige Rolle spielen, ist wenig überraschend, ebenso nimmt Wolfgang Öxler jedoch unterschätzte, ja vielleicht sogar eher geringgeschätzte Räume in den Blick seiner Betrachtungen. Zwischenräume etwa, Lücken scheinen den meisten nur vergeudete Zeit zu sein - aber gerade in ihnen kann Neues wachsen; Leerstellen können auf Wichtiges hinweisen, das fehlt. Auch Warteräume werden meistens nicht besonders geschätzt, und doch macht uns das Warten etwas ganz Entscheidendes bewusst: dass wir als Menschen über die wichtigsten Dinge im Leben letztlich keine Kontrolle haben. Wer geduldig wartet, gibt jedoch seiner Sehnsucht eine Richtung, ist bereits auf ein Ziel hingeordnet, hofft und vertraut darauf, dass uns das Eigentliche zur rechten Zeit geschenkt wird. Das Warten führt so zu einer positiven Lebenshaltung. Noch eine ganze Reihe weiterer Räume wird in diesem Buch Gegenstand der Betrachtung - bis hin zum Himmelsraum, mit dem man sich durch das Lob Gottes verbinden kann. Die kurzen Textabschnitte (meist zwei bis drei Seiten) verlieren sich nicht in Abschweifungen, sondern gehen immer sofort in die Tiefe, sie vermitteln überzeugende Einsichten und enden oft - farblich abgesetzt - mit einem kurzen Gebet oder in Fragen, die man sich stellen kann (oder denen man sich vielleicht auch stellen sollte…), oder in kurzen Sinnsprüchen. Nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern ein ganz wesentliches Element sind in diesem Band die vielen großformatigen Farbfotos von Andrea Göppel. Sie bringen die in den Texten vorgestellten Einsichten bildhaft zum Ausdruck: meist nur wenige (oft aber intensive) Farben schaffen das Gefühl von Einfachheit und Klarheit, die Bilder wirken konzentriert, ohne allzu viele Details, vermitteln vor allem Ruhe und Weite. Motive sind oft Landschaften oder Wolkenformationen, verschiedenste Pflanzen, auch Kloster- und Kirchenräume, verschiedene Gegenstände, oft mit starkem Symbolgehalt (Schale, offene Türe, Fenster, Netz, Uhr, Kerzen…). Wer dazu bereit ist, diese Texte und Bilder auf sich wirken zu lassen - und dieses Buch macht das den Lesenden und Betrachtenden wirklich leicht -, wird in jedem Fall großen Gewinn daraus ziehen! (Religiöses Buch des Monats Mai)
Thomas Steinherr
rezensiert für den Borromäusverein.
Freie Räume für mehr Leben
Wolfgang Öxler ; mit Fotografien von Andrea Göppel
Herder (2022)
180 Seiten : farbig
fest geb.
Auszeichnung: Religiöses Buch des Monats
Wenn Gott zum Kaffee kommt
„Du starrst aber schon lange auf den leeren Bildschirm“, sagt Gott. - „Oh, du bist da“, sage ich. - „Wo soll ich denn sonst sein?“, fragt Gott zurück. - „Stimmt auch wieder“, brumme ich. „Ich will über das Buch von Annette Jantzen über eure Begegnungen schreiben.“ - „Und was ist so schwer daran?“, fragt Gott. - So würde Annette Jantzen von ihrer Begegnung mit Gott schreiben, wenn sie einen Text wie diesen zu schreiben hätte. Bei ihr steht Gott schon mal mit einem Sixpack Altbier unterm Arm vor der Wohnungstür und sagt: „Guten Abend, ich würde gerne mit dir über mich sprechen.“ Oder er sitzt auf dem Küchentisch und nascht Schokoladenkekse zum Espresso. - Was sich in dieser Kürze fast schon nach Klamauk anhört, sind lockere, gleichwohl tiefgehende Gespräche mit Gott, über „seine“ (wie Jantzen Gott gegenüber betont) Kirche und die Rolle der Frau darin, über den himmelschreienden Skandal des sexuellen Missbrauchs, über Corona, über Liebe und Sinn, über die Magnolie am Aachener Dom (Annette Jantzen lebt und arbeitet in Aachen) und wie sehr Gott es liebt, bei den Menschen zu sein. - Über die Gespräche kann man herzlich lachen, etwa wenn Gott „Alt“ und „Stil“ in einem Gedanken unterbringt oder anmerkt, dass für Frauen in der Kirche nur drei „Aggregatzustände“ vorgesehen seien: „Jungfrau, Braut und Mutter“. Und sie gehen unter die Haut, wenn es um sexuelle Gewalt geht und um die Sprachlosigkeit angesichts der Zahlen und der Unwilligkeit vieler Kirchenmänner, sich damit auseinanderzusetzen. - Annette Jantzen erzählt, wie wichtig es Gott ist, den Menschen nahe zu sein, zeigt, dass Menschen ganz normal mit Gott reden können und nicht erst eine Gebetssituation oder eine vorgestanzte Sprache dafür brauchen. - Gott ist im Alltag da, wenn Fahrräder repariert werden, eine Diözesanversammlung des BDKJ tagt (dessen geistliche Leiterin Jantzen für das Bistum Aachen ist) oder Kinder und Jugendliche während der 72-Stunden-Aktion die Welt verbessern. - Dass Jantzen bei aller Leichtigkeit, die ihre Texte kennzeichnet, auf theologisch reflektiertem Grund steht, zeigt eine andere Publikation von ihr, „Gotteswort, weiblich“, in der sie sich mit patriarchalen Gottesvorstellungen und religiöser Sprache auseinandersetzt. Dieser Gedanke taucht natürlich auch in den Gesprächen mit Gott auf, indem sie z.B. wie nebenbei darauf hinweist, dass Gott „kein Typ“ sei und sich deshalb nicht auf ein Geschlecht festlegen lasse. - Annette Jantzens Texte zeigen, wie sich zeitgenössisch und auf alltägliche Weise von und mit Gott reden lässt, ohne dass das platt und theologisch dürftig wird. Erfrischende Lektüre für diese schwierigen Zeiten!
Christoph Holzapfel
rezensiert für den Borromäusverein.
Wenn Gott zum Kaffee kommt
Annette Jantzen
echter (2022)
120 Seiten
fest geb.
Auszeichnung: Religiöses Buch des Monats
Den Himmel mit Händen fassen
Fasten hat in den letzten Jahren eine gewisse Popularität erlangt. Auf etwas verzichten, Ballast abwerfen - das ist gut für die Gesundheit und auch für die Umwelt. Doch woher kommt das Wort "fasten" eigentlich? Wer im neuen "Lesebuch für Fastenzeit, Karwoche und Ostern", das Rudolf Bischof und Klaus Gasperi herausgegeben haben, die Erklärung des Wortes "fasten" liest, erlebt durchaus eine Überraschung. Im Althochdeutschen bedeutete das Wort "fasten" keineswegs "verzichten", im Gegenteil, es heißt vielmehr: "festhalten". In dieser Richtung also muss der Sinn des Fastens gesucht werden: Es geht nicht um das Verzichten als solches, wir sollen vielmehr durch das Loslassen von Unwichtigem zurückfinden zu dem, was uns Halt und Sinn gibt, woran wir uns festhalten können. Die nächste Überraschung: Die Herausgeber haben für ihr Lesebuch zur Vorbereitung und Begleitung der österlichen Tage neben biblischen Texten nicht in erster Linie religiös-meditative und fast keine theologischen, dafür umso mehr literarische Texte ausgewählt. Es sind Gedichte und kurze Erzählungen, die direkte oder auch eher indirekte religiöse Erfahrungen und Erlebnisse zum Ausdruck bringen. Es sind weniger ausformulierte Erkenntnisse und Einsichten als vielmehr neue Zugänge, neue Perspektiven, neue Formulierungen, die man aus den Texten mit Gewinn ziehen kann. So kann dieses Lesebuch für viele Leserinnen und Leser zum Anlass werden, Fastenzeit und Ostern wieder neu zu erleben und dabei das Wesentliche in den Blick zu bekommen.
Thomas Steinherr
rezensiert für den Borromäusverein.
Den Himmel mit Händen fassen
Rudolf Bischof, Klaus Gasperi (Hg.)
Tyrolia-Verlag (2022)
223 Seiten
fest geb.
Auszeichnung: Religiöses Buch des Monats
Der entgrenzte Gott
Warum eigentlich soll man sich heute noch mit diesem Jesus aus Nazareth beschäftigen? Welche Relevanz für das Leben im Jahre 2022, im dritten Jahr gezeichnet von einer weltweit grassierenden Pandemie, hat dieser Jesus? Der Jesuit Christoph Wrembek gibt in diesem Buch eine - seine - Antwort darauf und verbindet sie mit der Frage, ob es nach dem Tod weitergeht. Gibt es eine Auferstehung der Toten? Als Seelsorger hat er diese Fragen immer wieder als sehr drängend erlebt. Und aus christlicher Sicht gehören Jesus, Tod und Auferstehung zusammen. - Vier Glaubensprobleme macht Wrembek aus, die sich vielen Glaubenden und erst recht denen, die mit Gott und Kirche nichts oder nur wenig anfangen können, in den Weg stellen. Darunter den massiven Verlust an Glaubwürdigkeit, der durch die Missbrauchsfälle und deren Aufarbeitung entstanden ist, und dadurch, dass die Kirche beständig versucht, „Grenzen wie Stahlbetonmauern“ zu ziehen, zu Homosexuellen und Transmenschen z.B., zu Menschen, deren Ehen scheitern usw. Außerdem zählt er das „Jesus-Problem“ dazu: Was wissen wir wirklich von ihm? Was hat er gesagt und getan, was auch heute noch von Bedeutung ist? Und dann die Sache mit der Auferstehung ... - Wrembek konzentriert sich auf das Jesus-Problem, denn darüber lassen sich auch Lösungen für die anderen Probleme finden. Mit Blick auf die Bibel, auf außerbiblische Zeugnisse und die theologische Forschung stellt er fest, dass wir über eine Fülle an gesicherten Informationen über Jesus und seine Botschaft verfügen. Er habe mit seiner Lehre und dem Bild, das er von Gott zeichnet, alle damals geltenden Grenzen gesprengt - und tut das auch heute noch, wenn man seine Worte ernst nimmt. „In diesem Jesus tut sich uns ein Blick in Gottes absolute Entgrenzung, in das Geheimnis des göttlichen Willens auf“, schreibt Wrembek. - Am Beispiel der Seligpreisungen zeigt er, wie Jesus sich an die Stelle der Tora und sogar an die Stelle Gottes stellt und damit Überzeugungen und Grenzen des damaligen Judentums ebenso wie viele heute noch gängige Vorstellungen in Frage stellt. Jesus offenbarte in der Bergpredigt, „wie Gott in Wahrheit ist: mütterlicher Vater aller Menschen, ganz im Gegensatz zu dem, was Menschen, was Religionen aus ihm gemacht haben und machen. Die Seligpreisungen offenbaren das wahrhafte Handeln Gottes zur Rettung ‚seiner Menschen‘.“ Dafür sei „Erbarmen“ das Schlüsselwort. - Auch zur Frage der Auferstehung und des leeren Grabes äußert Wrembek sich ausführlich, sodass auch Menschen, die dem für Christen oft allzu Selbstverständlichen skeptisch gegenüberstehen, dazu einen Zugang finden können. - Mit dem Stichwort „Entgrenzung“ schafft Wrembek einen zeitgemäßen, erfrischenden Zugang zur Gottesfrage und den eingangs genannten Problemen. Eine absolut lesenswerte Lektüre für alle Menschen, die die Sehnsucht nach Grenzenlosigkeit im Herzen tragen.
Christoph Holzapfel
rezensiert für den Borromäusverein.
Der entgrenzte Gott
Christoph Wrembek
Verlag Neue Stadt (2021)
230 Seiten
fest geb.
Auszeichnung: Religiöses Buch des Monats
Jesus begegnen
Jesus begegnen, so wie es die ersten Jünger konnten, oder zumindest wie Don Camillo in den berühmten Filmen sich mit dem Jesus am Kreuz in der Kirche unterhalten können – das wäre natürlich schön, aber das ist uns heutigen Menschen leider nicht möglich. Wirklich nicht? Der Jesuit Andreas Batlogg möchte mit seinem neuen Jesus-Buch zeigen, dass das nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist – wenn der christliche Glaube mehr sein will als ein bloßes Gedenken an einen Toten. Jesus hat zwar vor 2000 Jahren gelebt und ist gestorben, doch ist er keineswegs nur eine Gestalt der Vergangenheit. Wenn er wirklich auferstanden ist, dann lebt er, auch jetzt, und dann muss man ihm auch nach wie vor begegnen können – auf welche Art und Weise auch immer. - In 33 Kapiteln, die in ihrer Anzahl Bezug nehmen auf die Lebensjahre Jesu, beleuchtet Batlogg verschiedene Möglichkeiten und Wege, Jesus zu suchen, ihn zu finden und ihn zu bekennen – ihm auch heute immer wieder zu begegnen und sein ganzes Leben aus diesen Begegnungen heraus zu gestalten. Wie in einem Kaleidoskop wird immer wieder eine neue Perspektive betrachtet, was es heißen kann, Jesus zu begegnen. Es ist kein theologisch-systematisches Buch, die Darstellung speist sich vielmehr aus verschiedensten Quellen: natürlich spielt die Betrachtung der Evangelien, der Bibel überhaupt, eine große Rolle, auch kirchliche Glaubensvorstellungen und Traditionen; philosophisch-theologische Überlegungen kommen durchaus auch vor – insofern sie für den praktischen Glauben Bedeutung haben; darüber hinaus greift der Autor auf ganz viele Anregungen aus Kunst, Literatur, Film und Musik zurück, in denen man unzählige Bezüge auf Jesus finden kann; er erzählt von seinen Reisen ins Heilige Land auf den Spuren Jesu. - Als Jesuit bringt der Autor natürlich immer wieder auch die besondere Spiritualität des Jesuitenordens, die vom heiligen Ignatius von Loyola geprägt ist, zur Sprache, und auch Papst Franziskus, der ja ebenfalls dem Jesuitenorden angehört, kommt mit seinen Gedanken und Aussagen sehr häufig zu Wort. Und Pater Batlogg scheut sich auch nicht, seine ganz persönlichen Erlebnisse und Glaubenserfahrungen aus fast sechs Lebensjahrzehnten einzubringen – denn es geht ihm ja schließlich darum zu zeigen, dass die Begegnung mit Jesus im ganz konkreten Leben möglich ist und ihre Spuren hinterlässt. - Man muss das Buch nicht unbedingt von vorne nach hinten auf einen Sitz ganz durchlesen, man kann vielmehr auch darin blättern oder sich von bestimmten Kapitelüberschriften leiten lassen, die neugierig machen, wie etwa „Der schwierige Jesus“, „Der harmlose Jesus“, „Der Jude Jesus“ oder „Jesus sehen“. Je mehr man über Jesus erfährt, je öfters man ihm „begegnet“, je besser man ihn kennenlernt, desto klarer wird aber auch: Jesus hat seine Jüngerinnen und Jünger zur Nachfolge aufgefordert, und das gilt heute nicht anders als vor 2000 Jahren: „Wer Jesus sucht, wer ihn findet, wer ihm begegnet, steht über kurz oder lang auch vor der Frage, ob er sich zu ihm bekennen will.“ (159) Wozu dieses Bekenntnis? Um auch andere zur Begegnung mit Jesus zu führen. Der Autor selbst wagt dieses Bekenntnis: „Ich bin davon überzeugt: Es lohnt sich Jesus heute zu entdecken, um ihm zu begegnen. Um ihn, in einem weiteren Schritt, zu bekennen. Aber das ist – und bleibt – eine lebenslange Einübung.“ (S. 295) - Ein wertvoller Helfer bei dieser lebenslangen Einübung kann auch dieses Buch sein, das man immer wieder zur Hand nehmen kann, weil es so vielfältige Anregungen bietet, und dessen Antworten wie Fragen die Leserinnen und Leser noch lange beschäftigen werden.
Thomas Steinherr
rezensiert für den Borromäusverein.
Jesus begegnen
Andreas R. Batlogg
Kösel (2021)
319 Seiten : Illustrationen (teilweise farbig)
fest geb.
Auszeichnung: Religiöses Buch des Monats