Moderner Heiliger

Der heilige Karl Borromäus und seine Bedeutung für die Gegenwart

Im Februar 2020 fand in Lugano eine Tagung statt, die sich gleichzeitig als Intensivwoche an die Studenten der Theologischen Fakultät und zahlreiche interessierte Gäste richtete: „Der heilige Karl, eine europäische Gestalt: seine Aktualität für das dritte Jahrtausend“. In den Blick genommen wurden dabei verschiedene Gesichtspunkte aus dem Wirken von Karl Borromäus, aber auch seine beachtliche und wenig bekannte Rezeption im englischen Sprachraum. Die Vorträge waren auf Italienisch und zum Teil auf Englisch. Eine Veröffentlichung wird derzeit vorbereitet.
Den Vorträgen gingen Grußworte der politischen Autoritäten voraus (von Seiten des Schweizer Kantons Tessin und der Stadt Lugano). Der Vertreter der Stadt Lugano (Mitglied der liberalen Partei) hob ganz am Beginn den Einsatz des Heiligen in der Notsituation der Pest hervor: als die Seuche ausbrach, flohen viele weltliche Funktionäre aus Mailand, während Karl Borromäus von einer Visitationsreise sehr bewusst in das Epizentrum der Epidemie zurückkehrte, um dort den bedrängten Menschen an Leib und Seele zu helfen. Sein Beispiel wirkt bis heute zumal in der gegenwärtigen Situation, in der wir weltweit mit der Pandemie des Corona-Virus konfrontiert sind.
    


Das ökumenische Konzil von Trient war abgeschlossen, aber damit war sein Erfolg noch nicht gesichert. Es brauchte auch eine kluge und mutige Umsetzung aus dem Geist eifrigen Glaubens. Karl Borromäus gab dabei ein leuchtendes Beispiel, das in der Folgezeit von vielen anderen Bistümern nachgeahmt wurde. Unser Heiliger hatte einen sehr praktischen Sinn und wusste die Erfordernisse seiner Zeit auch in rechtliche Weisungen umzusetzen, die in einer Zeit des Niederganges einen Weg bahnten zur Erneuerung der Kirche. Das Vorbild waren ihm dabei die großen Heiligen, wie etwa der hl. Ambrosius und Papst Gregor VII., der die Eigenständigkeit der Kirche gegenüber den weltlichen Autoritäten zur Geltung gebracht hatte. Sein Reformwerk war kein Programm des kirchlichen Umsturzes, sondern nahm Maß an den besten Beispielen der kirchlichen Überlieferung.
    
Am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils (1965) schenkte Papst Paul Holzbüste im Archiv des Borromäusvereins VI. allen dabei anwesenden Bischöfen ein Exemplar der Biographie unseres Heiligen aus der Feder seines langjährigen Sekretärs, Carlo Bascapè (auf Lateinisch, mit italienischer Übersetzung und einem hervorragend ausgearbeiteten Apparat von Fußnoten und Anhängen, 1983 in zweiter Auflage erschienen). Paul VI. war selbst als Erzbischof von Mailand Nachfolger des hl. Borromäus gewesen und wollte der Weltkirche ein Beispiel vor Augen stellen für die Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Biographie von Carlo Bascapè, des damaligen Bischofs von Novara, erschien bereits 1592, also 18 Jahre vor der Heiligsprechung Karls im Jahre 1610. Gedruckt wurde sie nicht in Mailand, denn den dort regierenden spanischen Behörden war der tatkräftige Bischof noch in mancher Hinsicht ein Dorn im Auge. Auch in Rom galt der Druck als politisch unkorrekt. Sie erschien freilich in Ingolstadt, also im katholischen Bayern, dessen Herzog das Reformwerk Karls überaus schätzte. Als Vorbereitung auf die oben genannte Tagung habe ich dieses eindrucksvolle Standardwerk lesen können. Wenn nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil alle Bischöfe sich das darin enthaltene Vorbild zu Herzen genommen hätten, dann hätten wir zweifellos eine Blüte des katholischen Glaubens erlebt, so wie es sich die Konzilspäpste Johannes XXIII. und Paul VI. gewünscht hätten. Doch ist es noch nicht zu spät: auch heute können Heilige durch ihr Vorbild Anregungen geben und durch ihre himmlische Fürbitte helfen, dass die winterliche Situation des Glaubens abgelöst wird von einem neuen Frühling. Natürlich ist jede Zeit verschieden, aber die Herausforderungen der Vergangenheit bieten stets manche Ähnlichkeiten mit der Gegenwart.
    
Das umfassende Reformwerk des hl. Karl Borromäus spiegelt sich in den beiden bereits von ihm selbst zuerst publizierten „Acta Ecclesiae Mediolanensis“ aus dem Jahre 1582. Weit verbreitet ist vor allem die 1599 von seinem Vetter und Nach-Nachfolger als Erzbischof von Mailand Federico Borromeo erstellte Ausgabe (mit ausgiebigen Indices), während die letzte kritische Edition von Achille Ratti veröffentlicht wurde, dem späteren Papst Pius XI. Die „Acta“ wurden vielfach nachgedruckt und galten als Vorbild für eine fruchtbare Anwendung des Konzils von Trient.
    Als Beispiel sei genannt die Förderung der Bruderschaften. Es gab auch schon vorher Vereinigungen engagierter Laien, aber Karl Borromäus hat diesen Bereich machtvoll gefördert. So gründete er zahlreiche Bruderschaften der christlichen Lehre: deren Mitglieder kümmerten sich um die Katechese von Kindern und Erwachsenen. Die Bruderschaften vom allerheiligsten Sakrament halfen mit, die Eucharistie in das Zentrum des kirchlichen Lebens zu stellen. Die Rosenkranzbruderschaften förderten das gemeinsame Gebet, indem sie aus der Perspektive der Gottesmutter das Leben Jesu betrachteten.
    

 


Der Autor

Prof. Dr. Manfred Hauke lehrt an der Theologischen Fakultät Lugano (Schweiz).