Rafik Schami - Herzlichen Glückwunsch zum 75. Geburtstag
Antje Ehmann hat bei dem großartigen Autor angeklopft und nachgefragt, welche Bibliotheken eine wichtige Rolle für ihn gespielt haben, was der Unterschied ist, für Kinder oder Erwachsene zu schreiben und was er sich für die kommende Zeit erhofft?
Gibt es Kinderbücher aus Ihrer Kindheit, an die Sie sich besonders erinnern oder hat Ihnen jemand besonders beeindruckende Geschichten erzählt?
Kinderbücher, wie wir sie heute kennen, gab es bei uns nicht. Aber sobald ich lesen
konnte, stürzte ich mich auf die kleine, feine Bibliothek meines Vaters und las alles, was mir in die Hände fiel. Auch Bücher, die er uns Kindern verboten hatte. Außerdem hatte ich das große Glück, so viele Geschichten von mündlichen Erzählerinnen und Erzählern zu genießen. Mich hat es mehr als die Bücher fasziniert, wie eine Frau oder ein Mann so erzählen kann, dass die Leute beim Zuhören lachen und weinen mussten. Heute weiß ich, es war das Samenkorn, aus dem meine spätere Leidenschaft für mündliches Erzählen gewachsen ist.
Welche Bibliotheken haben in Ihrem bisherigen Leben eine wichtige Rolle gespielt?
Die Bibliothek meines Vaters, die Bibliothek des Erlöser-Klosters im Libanon, wo ich drei Jahre im Internat verbracht habe. Mein Vater träumte vergeblich davon, einen seiner Söhne als Pfarrer zu sehen.
Die Bibliothek der Universität Heidelberg, meine Bibliothek und seit ungefähr zehn Jahren die diversen arabischen Internet-Bibliotheken, wo zahllose Schätze der arabischen Kultur aus dem siebten bis neunten Jahrhundert archiviert sind. Viele darunter sind Perlen, die man nicht kaufen kann. Das ist auch eine positive Seite der virtuellen Welt.
Wie sind Sie auf die Idee zu ihrem ersten Kinderbuch gekommen?
Das weiß ich heute nicht mehr so genau. Die Ideen zu den Kinderbüchern fallen mir täglich ein, aber nur ein winziger Teil davon entwickelt sich später zu einer schönen Geschichte für Kinder. Nicht selten verschmelzen zwei Ideen zu einem Ganzen. Manchmal verlangt eine solche Geschichte mehr Mühe als ein Roman, so beispielsweise „Hast du Angst?, fragte die Maus“ oder „Wie sehe ich aus“, fragte Gott“. Deshalb mache ich nur wenige Kinderbücher.
Was steckt hinter der Geschichte "Hast Du Angst?“, fragte die Maus"?
Da ich als Kind oft, manchmal sogar sehr schwer krank war, hatte ich Angst vor dem Tod. Später wurde ich zweimal von Hunden gebissen und habe seitdem eine unvernünftige, aber nützliche Angst vor Hunden. Ich hatte immer berechtigte Angst vor dem Krieg und viele kleinere, berechtigte und unberechtigte Ängste. Also beschloss ich, den Kindern über Angst zu schreiben ohne ihnen Angst zu machen und das war sehr, sehr kompliziert, fast wie der gordische Knoten. Mehrmals habe ich aufgegeben, aber dann nahm ich mir ein Jahr Extrazeit und sammelte alles, was ich über Angst finden konnte. Durch Zufall fand ich eine Liste der Angstvarianten (https://phobien.ndesign.de/), ich las sie und begann zu lachen. Und von da an wusste ich, wie ich den Kindern darüber erzählen kann.
Wie unterscheidet sich die Arbeit an einem Kinderbuch von einem Buch für Erwachsene und gibt es Pläne für ein neues Bilderbuch?
Für mich muss ein Kinderbuch voller Philosophie sein, getarnt durch Lachen, voller Erziehung zum Mut und zur Selbstständigkeit. Aber ohne Belehrung, voller Witz, ohne Rassismus und Frauenfeindlichkeit… und vor allem: es muss glaubwürdig bleiben. Das ist eine der schwierigsten Hürden. Welten zu erschaffen, die das Kind nirgends sieht und dennoch vertrauensvoll in sie hineingeht. Schreiben für Erwachsene ist in vielerlei Hinsicht leichter. Ja, es gibt Pläne über eine ungewöhnliche Geburt unter einer Brücke in Deutschland, die fast wie in Bethlehem klingt. Das Buch „Die Geburt“ erscheint im Herbst dieses Jahres.
Was macht die Arbeit als Herausgeber für Sie interessant?
In erster Linie die Neugier nach Themen und deren Bearbeitung. So wunderte ich mich beispielsweise immer, warum die Dichter so lange unter dem Fenster ihrer Geliebten bei Wind und Wetter, oder in der arabischen Welt bei brennender Sonne und Sandsturm, singen, aber sobald die Liebe durch Ehe erfüllt ist, verstummen sie. Thomas Mann hat über alles geschrieben, sogar über seinen Hund. Aber haben Sie mal ein Büchlein über seine Ehe gelesen? Also beschloss ich, die Weltliteratur nach einem „Lob der Ehe“ zu durchsuchen. Der Verleger Horst Lauinger (Manesse) und meine Lebensgefährtin, die Schriftstellerin und Illustratorin Root Leeb, standen mir tapfer zur Seite.
Haben Sie eigentlich auch Kontakt zu einzelnen Übersetzern Ihrer herausragenden Romane?
Ja, sehr intensiv sogar, weil ich ihre Arbeit sehr schätze und pro Roman bis zu 300 Fragen nach Details beantworte… dann ist die Übersetzung gut. Übersetzen ist eine große, meiner Meinung nach nicht genug anerkannte Kunst.
Was bedeuten Ihnen Preise und Auszeichnungen? z.B. Großer Preis der Akademie für Kinder- und Jugendliteratur 2015 oder den Gustav-Heinemann-Friedenspreis 2018?
Preise sind für mich erst einmal eine große Freude. Da ich in meinem Geburtsland unerwünscht bin und meine Bücher dort verboten sind, wirkt ein Preis wie eine freiheitliche Ohrfeige gegen die syrische Diktatur und deren Wortsöldner, die zum Teil sogar in Deutschland leben. Zum anderen ist jeder Preis eine Oase auf dem Weg meiner langen Reise. Ich nehme mir dann immer etwas Zeit und werfe einen kritischen Blick zurück. Das ist für mich sehr lehrreich.
Am 2. Juli 2021 ist eine Veranstaltung im Luisenpark Mannheim geplant. Wie sehr freuen Sie sich darauf? Was bedeuten Ihnen all die Lesungen?
Die Seebühne im Luisenpark stellt eine ideale Voraussetzung fürs Erzählen dar: literaturbegeisterte Veranstalter, absolut perfekte Akustik und über tausend Zuhörerinnen und Zuhörer. Die Pandemie hat die Veranstaltung nun leider unmöglich gemacht. Denn wir wollen nicht, dass Herr Covid und Frau Corona mehr Plätze besetzen als unser Publikum. Aber wir sagen die Veranstaltung nicht ab, sondern verschieben sie. Ich werde alles tun, um sie zu halten, sobald es für alle nicht mehr gefährlich ist.
Gibt es Pläne und Wünsche für das Jahr und woran arbeiten Sie gerade?
Mein erster Wunsch ist, dass wir diszipliniert diese üble Pandemie besiegen, und natürlich auch, dass die Diktatur in Syrien und anderen Ländern ein Ende findet. Mein neues Buch ist gerade in die Druckerei gegangen. Es erscheint im Herbst diesen Jahres und sein Titel lautet: „Mein Sternzeichen ist der Regenbogen“.
Ihre Geschichten sind oft bei aller Tragik heiter, warum?
Weil ich das Lachen für den besten Schmuggler von Inhalten halte, im Guten wie im Schlechten. So kann mancher Comedian seine rassistischen und frauenfeindlichen Ansichten mit einem Lachen tarnen. Wie oft ärgere ich mich, wenn das Publikum im Fernsehen grölt, obwohl es sich um einen sehr bedenklichen Inhalt handelt. Aber ebenso kann man auch humanistische, philosophische und moralische Gedanken viel besser mit Lachen ins Herz und Hirn schmuggeln.
Ganz herzlichen Dank für das Interview!