Astrid Lindgren

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Bewegung und Spiel

Dass Lindgrens Bücher Groß und Klein begeistern, liegt unter anderem an der Lebendigkeit ihrer Geschichten. Astrid Lindgren ist große Befürworterin des Spielens und Erlebens, was sie keinesfalls nur den Kindern vorbehalten möchte. Spielen und bewegen soll sich jeder, auch und gerade, wenn man bereits erwachsen ist. Die Schriftstellerin geht hier beispielhaft voran.
„Astrid war so unglaublich gelenkig. Ich sehe sie noch vor mir in der Turnhalle. Wie ein Affe turnte sie oben unter der Decke herum…“, wird sich später ihre Freundin Anne-Marie Ingeström erinnern. Auch Lindgrens Großnichte Karin Alvtegen hat den Spieltrieb der Großtante noch genau vor Augen: „Apropos gespielt und gespielt. Das war das Lustige mit Astrid. Wir waren nie ganz sicher, ob sie sich nicht in eine richtige Hexe verwandelt hatte, so gut konnte sie spielen. So sind Erwachsene sonst nicht.“
 Im Spiel ist die Wildheit erlaubt, die unterschiedlichsten Gefühle dürfen ausgelebt werden, es wird gekämpft, sich gewunden, gesprungen und balanciert. Alles, was in der Erwachsenenwelt mit hochgezogenen Augenbrauen quittiert wird, darf im Spiel sein. Der Bewegungsdrang Lindgrens steht auch immer für ihr gelebtes Freiheitsgefühl und zeigt sich durch Geschwindigkeit, Sprünge und gekletterte Höhenmeter.
Ihre Figuren stehen der Schriftstellerin in nichts nach. Madita balanciert durch eine Mutprobe herausgefordert auf dem Schuldach und spielt mit ihrer kleinen Schwester Lisabeth am Flussufer die biblische Geschichte Moses im Schilf nach.
In Bullerbü wird Brennball gespielt, aber auch Blinde Kuh und man gräbt sich eigene Höhlen im Heuboden. Die Freundinnen Lisa und Inga haben zudem geheime So-tun-als-ob-Spiele, bei denen sie sich unter anderem in zwei Frauen verwandeln, die sich gegenseitig besuchen. Es wird sich verrückt verkleidet und Puppen werden umsorgt. In Bullerbü wird es den Kindern niemals langweilig. So sieht es auch die Erzählerin Lisa. Ihr Fazit: Wir spielten lange und hatten viel Spaß.

Auf Saltkrokan bekommt Pelle von seinem Vater sogar einen ganzen Spaß-Tag geschenkt. Schnell sind zwei Teams gebildet (und klar, auch die Erwachsenen sind beteiligt), ein altes Boot wird zum Piratenschiff und schon geht die Schlacht um den sogenannten Mühsack-Diamanten los.

Astrid Lindgren ist sich dem exzessiven Spielen, in ihren Büchern und ihrem eigenen Leben, durchaus bewusst: „Wir spielten und spielten und es ist ein Wunder, dass wir uns nicht totgespielt haben.“
 
Das Spiel wird lebenslang ein wichtiges Element für sie bleiben.

 

Das Dilemma mit dem Großwerden

Die Kindheit genießen, spielen, singen und herumtoben, das alles ist für Astrid Lindgren paradiesisch. Doch auch die Charaktere ihrer Bücher wissen, dass dieses Paradies einmal verlassen werden muss. Erwachsensein, das klingt für viele, unter anderem Pippi, überhaupt nicht mehr nach Spaß: „Große Menschen haben niemals etwas Lustiges. Sie haben nur einen Haufen langweilige Arbeit und komische Kleider und Hühneraugen und Kumminalsteuern.“
„Kommunalsteuern heißt es“, sagte Annika.
„Ja, der gleiche Unsinn ist es in jedem Fall“, sagte Pippi.

Auch Lisa aus Bullerbü macht sich zu diesem Thema Gedanken: Aber es wird nicht lange dauern, bis ich zu groß bin, um mit Puppen zu spielen. Oh, wie langweilig muss es sein, wenn man groß ist!
Astrid Lindgren ist es ein Anliegen, die Kindheit nicht zu vergessen und sich den Spieltrieb zu bewahren. Die ernsten Töne, die anklingen, sind nicht bedrohlich, regen aber dennoch zum Nachdenken an. Dies ist eine Stärke der Wortwahl Lindgrens. Es ist nicht der erhobene Zeigefinger, viel mehr ein So-könnte-es-auch-sein, welches sie ihren Leser:innen anbietet. Dies bekräftigt sie auch im Interview mit Felizitas von Schönborn: „Die Menschen sollten die Erinnerung an ihre Kindheit bis an ihr Lebensende mit sich tragen. Gut haben es eigentlich nur Kinder, deren Eltern sich um sie kümmern und ihnen Vertrauen mit auf den Lebensweg geben. Nur so kann die Welt besser werden. Wenn ich überhaupt etwas mit meinen Büchern erreichen will, dann ist es das, die Erwachsenen und die Kinder einander näherzubringen.“

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Ungebrochene Begeisterung bis heute

Warum tauchen Michel und die Brüder Löwenherz in diesem Artikel nicht auf? Was ist mit der mutigen Ronja Räubertochter? Wo ist Karlsson vom Dach geblieben, werden Sie sich nun vielleicht fragen. Es wurde auch nicht erwähnt, dass Astrid Lindgren in Kalle Blomquist lebt gefährlich im Jahr 1953 mit einem Tabu gebrochen hat, nämlich dem Mord im Kinderbuch.
Das stimmt, es gibt noch so viel mehr zu dieser vielfältigen Frau zu sagen, die ihrer Zeit stets einen Sprung voraus war. Das Gute jedoch ist: ihre Literatur bleibt uns erhalten. Lindgrens Bücher, die Biografien, ihre Tagebücher und Interviews hinterlassen der Nachwelt Ideen einer mutigen Schriftstellerin, die das Wohl der Kinder immer an erster Stelle gesehen hat.

Auch im Jahr 2022 ist die Beliebtheit der Astrid-Lindgren-Bücher ungebrochen. Die Geschichten aus Schweden haben sich über die Jahrzehnte längst zu Kinderbuchklassikern entwickelt, wenn es auch zuletzt Diskussionen um einige kolonialistische Begriffe in ihren Büchern gab.
Woran liegt die ungebrochene Begeisterung? Auch wenn Madita, Lotta oder die Kinder von Saltkrokan keine Digitalität kennen oder auf weite Reisen gehen, so sind ihre Werte, die sie vertreten, auch heute noch genauso elementar wie früher: es geht um Freundschaften, um Selbstvertrauen, Autonomie, die Achtung vor der Natur und das ewige Spielen. Eine Identifikation mit Lindgrens Protagonisten ist so gut möglich, da sie alle in ihrem Ursprung zutiefst menschlich sind, ihre eigenen Fehler haben und auch mal Rückschläge erleben müssen. Doch das Bedeutsamste, nämlich das Gute an sich, ist in den Geschichten geblieben und wird somit von jeder nachwachsenden Generation erneut für sich entdeckt und geliebt.

 

 


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