Altes Testament und moderne Literatur
Die Bibel ist nach wie vor ein unversiegbarer Quellgrund für literarische Gestaltungen. Und für die Forschung, die diese Literatur sammelt und ordnet. Das hat sich die Reihe „Bibel und Literatur“ des Stuttgarter Verlags Katholisches Bibelwerk auf die Fahnen geschrieben. Im mittlerweile vierten Band geht der einschlägig bestens ausgewiesene Theologe Georg Langenhorst den Wirkspuren nach, die die Geschichten und Themen, die Formen und Figuren des Alten Testaments in der Literatur des 20. und des 21. Jh. hinterlassen haben. Und das sind nicht wenige. Schon das Eingangskapitel zeigt, wie unterschiedlich in Tonlage und Intention, aber geeint in der Faszination für diese Stoffe Ingo Schulze, Ulla Hahn, Patrick Roth, Michael Köhlmeier an die Sintfluterzählung herangehen: politisch und autobiographisch, archetypisch und mythopoetisch. Auch im Kapitel über Hiob oder in dem Abschnitt über die Psalmen wird die literarische Strahlkraft der alttestamentlichen Geschichten herausgestrichen. Auffällig ist, dass viele Autor/-innen da ansetzen, wo die biblische Geschichte dunkel, rätsel- oder lückenhaft bleibt. So lässt die polnische Nobelpreisträgerin Maria Wislawa Anna Szymborska „Lots Frau“ nicht bloß aus Neugier auf die untergehende Stadt zurücksehen, sondern aus Verlassenheit, aus Zorn, aus Atemnot. Stoff genug zum Weiter- und Nachdenken also, und ein Beleg dafür, was die Geschichten der jüdischen Bibel allen anderen an „Zeiten-, Schicksals- und Bewusstseinstiefe“ (Erich Auerbach) voraushaben. Georg Langenhorsts Kommentar gibt uns ein sicheres Geleit durch das Gebiet der literarischen Bibellektüren. Sehr zu empfehlen ab mittleren Beständen.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Altes Testament und moderne Literatur
Georg Langenhorst
bibelwerk (2021)
Bibel & Literatur ; Band 4
268 Seiten
fest geb.