Zahlreiche Kinderbuchverlage bieten Erstlesereihen an. Autor*innen und Illustrator*innen lassen sich etliches einfallen, um Grundschulkinder für das Lesen zu begeistern. Aber was sagen eigentlich Lektor*innen, die ebenfalls engagiert und maßgeblich an dieser Arbeit beteiligt sind?
Antje Ehmann hat sich umgehört und von fünf ausgewiesenen Expert*innen je fünf interessante Antworten bekommen. Viel Spaß beim Lesen!
Ausgezeichnet!
Aktuelles Erstlesebuch des Monats
Übersicht Erstlesebücher des Monats
Vom Lektorat des Borromäusvereins ausgezeichnete Kinderbücher, die sich inhaltlich und gestalterisch aus der Masse abheben und damit einen wichtigen Beitrag zur Leseförderung leisten.
Jeanette Hammerschmidt: Das Segment bietet die Chance, bei Kindern die Begeisterung für das Lesen zu wecken. Loewe ist seit vielen Jahren Marktführer im Erstlesesegment; dahinter steckt sehr viel Arbeit und ein permanenter Austausch mit Pädagog*innen, die ihre Erfahrungen, die sie mit unseren Büchern machen, mit uns teilen. Die Anforderungen und Bedürfnisse haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Es geht darum, Kindern die auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Angebote zu machen, sie mit spannenden Themen und coolen Illustrationen „abzuholen“. Den letzten Relaunch unseres Stufenkonzepts gab es 2023 – ganz aktuell starten wir mit Comicbüchern zum Lesenlernen. Lesenlernen ist anstrengend; da braucht es Motivation, um dabei zu bleiben, und Erfolgserlebnisse, die motivieren. So haben Kinder eine Chance, die Faszination von Geschichten zu entdecken, und werden vielleicht eines Tages zu echten Leser*innen. Und auch wenn sie das nicht werden, so brauchen sie Lesekompetenz, um sich im Alltag, in der Schule und im Netz zurechtzufinden.
Therese Hochhuth: Mich faszinieren die große Bandbreite der Zielgruppe und die sehr individuellen Leselernprozesse der Kinder zwischen fünf und neun Jahren. Es ist eine spannende Herausforderung, Bücher mit interessanten Geschichten in geringem Umfang zu machen, um die neu erworbenen Lesefertigkeiten der Kinder zu festigen und sie bestenfalls dauerhaft fürs Lesen zu begeistern. Sehr viel Spaß daran bringt der hohe Illustrationsanteil, weil die Bildsprache ja eine eigene Erzählebene ist, die noch mal ganz viel Stimmung, Witz und Emotionen transportiert. Die Mimik des eher vorsichtigen Puters in „Piggo und Puter: Saustarke Freunde“ ist ein anschauliches Beispiel dafür. Wir mussten sehr lachen, als der sowieso schon komische Text durch die Bilder ergänzt wurde. Ich liebe überhaupt den Moment, wenn die ersten Skizzen kommen und eine Geschichte damit komplett wird. Wenn die ersten selbst gelesenen Bücher auf sprachlicher und bildlicher Ebene schon einen Sog auslösen können und wiederholt zur Hand genommen werden, ist ein gelungener Einstieg in eine mögliche Lesebiografie geschafft. Und was mich wirklich rührt, ist die Erkenntnis von Kindern, dass das Lesen ihnen einen Zugang zu und Teilhabe an Inhalten ermöglicht. Wachsende Lesekompetenz macht sie unabhängig!
Stefanie Schweizer: Das Lesenlernen ist eine hochspannende Entwicklungsphase im Leben eines Kindes. Lesenlernen ist so mühsam und frustrierend – nachdem man schon ‚große‘ Geschichten aus dem Bilderbuch kennt, sind Kinder plötzlich wieder auf Einfachheit angewiesen. Dafür Bücher zu entwickeln, die die Kinder bestmöglich unterstützen und zugleich ‚ehrliche‘ und interessante Geschichten mit Biss anbieten, empfinde ich als Königsdisziplin.
Mareike Reinfurth: An unserer neuen Reihe „Was guckst du?!“ fasziniert mich die Möglichkeit, Kinder von sieben bis neun Jahren für komplexe Geschichten zu begeistern. Die Lust am Gucken weckt die Lust am Lesen, denn hier funktioniert das eine nicht ohne das andere. Kinder brauchen bei dieser Reihe keine Angst vor „Bleiwüsten“ zu haben, denn Text-Doppelseiten wechseln sich mit Bild-Doppelseiten ab. Das hilft beim Verständnis, schafft kleine Erholungspausen und macht einfach Spaß. Besondere „Pageturner“ (kleine Bild- und Textelemente) sorgen dafür, dass das Buch garantiert nicht mehr aus der Hand gelegt wird. Denn sie machen neugierig und ziehen sich auf die nächste Seite hinüber. Da muss man einfach nur umblättern. Und dazu behandeln die Geschichten in dieser Reihe Themen, die Kinder bewegen, weil sie einfühlsam und spannend erzählt sind. Dadurch unterscheiden sich die Titel dieser Reihe von klassischen Erstlesern – sie zeigen, dass auch anspruchsvolle Thematiken wie Angst oder der Umgang mit dem Tod in einfacher Sprache angesprochen werden können. Junge Leser*innen, die vielleicht schon acht oder neun Jahre alt sind, sich aber mit dem Lesen immer noch etwas schwertun, können dadurch eine Faszination für Literatur entwickeln.
Was fasziniert Sie an Comics für Erstleser*innen?
Michael Groenewald: Von einem gut gemachten Comic lassen sich Kinder schnell in die Geschichte hineinziehen. Im engen Zusammenspiel der beiden Informationsebenen Bild und Wort liegt der Reiz der Erzählform – auch und gerade für Kinder im frühen Lesealter. Uns ist es daher auch bei Comics für Kinder wichtig, dass dem Bild beim Erzählen derselbe Stellenwert zukommt wie dem Text und beides sich ergänzt, das Bild also nicht allein eine Illustration des im Text transportierten Inhalts ist. Eine treffende Zeichnung ersetzt sowohl in Bezug auf die Handlung wie auch bei der Charakterisierung der Figuren und der Schilderung von Gefühlen und Stimmungen tatsächlich die sprichwörtlichen vielen Worte. Die Bildebene des Comics ermöglicht meines Erachtens so oftmals komplexere Geschichten als das bei einem klassischen Erstlesebuch der Fall ist. Kinder, denen das Lesen nicht so leicht von der Hand geht, werden nicht über-, Kinder, die einen besseren Zugang zum Lesen haben, aber auch nicht unterfordert. Das ermutigt sie, ganze Bücher zu lesen. Außerdem bereitet mir ein guter Kindercomic selbst großes Vergnügen, das ist sicherlich der Motor meiner Arbeit.
Jeanette Hammerschmidt: Auszeichnungen gibt es nach meinem Kenntnisstand nur wenige. Es gibt die Monatsempfehlungen vom Borromäusverein und den Elbinsel-Kinderbuchpreis (früher Preuschhof-Preis). Die Stiftung Lesen leistet einen wichtigen Beitrag und es gibt hie und da Empfehlungslisten. Aber angesichts der Bedeutung von Erstlesebüchern für die kindliche Entwicklung sollte noch deutlich mehr passieren.
Therese Hochhuth: Der Erstlesebereich ist im besten Fall ein relativ kurz frequentierter: Die Kinder lernen Lesen und ziehen mit zunehmender Kompetenz weiter in den anspruchsvolleren Kinderbuchbereich. Man wünscht ihnen, dass Erstlesebücher dafür ein gelungenes Sprungbrett sein können. Damit kommt dem Erstlesebereich eine wichtige Rolle zu, und er würde daher zuweilen mehr Aufmerksamkeit und damit Sichtbarkeit verdienen. Bei Nominierungen bekannter Auszeichnungen würde ich mir deshalb eine eigene Kategorie dafür wünschen. Auch um die Bemühungen der Verlage zu würdigen, neuen pädagogischen Erkenntnissen und veränderten Lesegewohnheiten der Kinder gerecht zu werden. Bei Empfehlungslisten fehlt mir manchmal die Klarheit darüber, dass sich Erstleseliteratur nach hauptsächlich didaktischen Kriterien aus Schulbuchverlagen von Büchern aus Publikumsverlagen unterscheidet. Die Herangehensweisen sind unterschiedlich, auch wenn bei Letzteren ebenfalls Kriterien der Leseforschung zugrunde liegen. Manchmal verschwimmen auf Empfehlungslisten auch die Grenzen zwischen Vor- und Erstlesebüchern. Aber ich freue mich über jede Empfehlung von Erstleseliteratur und eigenen Specials in Branchenmagazinen. Der Fachwelt und den Organisationen sind die Relevanz und Dringlichkeit des Leselernprozesses selbstverständlich bewusst. Die Konkurrenz um die Zeit und Aufmerksamkeit der Kinder durch die digitalen Medien ist massiv. Eine unermüdliche Sichtung und Empfehlung toller Neuerscheinungen bleibt deshalb hoch relevant – am besten sehr niedrigschwellig: Also leicht zu finden und schnell zu erfassen, dass Lesen Spaß bringt, und sich die Investition in Bücher und Ausleihangebote deshalb lohnt!
Mareike Reinfurth: Die unterschiedlichen Empfehlungslisten und Auszeichnungen bieten eine gute Orientierung für alle, die Bücher für Leseanfänger*innen suchen. Dabei geht es ja nicht nur um einfache Sprache, um das Lesenlernen zu vereinfachen. Es geht auch darum, die Begeisterung fürs Lesen zu wecken. Und da sind wir natürlich sehr glücklich, dass zum Beispiel der Borromäusverein „Bennos Bestie“, der erste Band unserer „Was guckst du?!“-Reihe, zum Erstlesebuch des Monats gekürt hat und der zweite Band der Reihe „Pollys Post“ mit dem „Fit für die Zukunft“-Siegel der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet wurde. Das hat mit dem innovativen Lesekonzept zu tun, aber sicher auch damit, dass diese Reihe vollwertige Literatur schon für junge Leser*innen anbietet. Es ist schön, dass die Empfehlungslisten und Auszeichnungen in diesem Bereich diese Bemühungen reflektieren.
Michael Groenewald: Als jemand, der seit über 30 Jahren an und mit Comics arbeitet, verfolge ich die Entwicklung insbesondere der vergangenen fünf Jahre gespannt und grundsätzlich positiv gestimmt: Dass Comics für Kinder und junge Leser*innen in der Jugendliteratur und der Leseförderung inzwischen auf die Agenda und ins Interesse gerückt sind, hätte ich vor nicht allzu langer Zeit nicht für möglich gehalten. Und ich bin glücklich über tolle Kooperationen und über die Aufnahme von etlichen Comics in Empfehlungslisten sowie deren Berücksichtigung bei Auszeichnungen. Obwohl in den letzten 10 bis 15 Jahren inhaltlich wie formal eine große Entwicklung stattgefunden hat, fragt man sich dennoch, warum es bei allen offenkundigen Vorzügen der Erzählform so lange gedauert hat. Um den Comic noch selbstverständlicher als ernstzunehmenden Teil der Jugendliteratur im Bewusstsein zu verankern, halte ich Empfehlungen und die Aufnahme in Nominierungslisten für sehr wichtig.
Wie hat sich das Angebot in den letzten fünf bis zehn Jahren in Ihrem Verlag verändert bzw. entwickelt?
Jeanette Hammerschmidt: Wir hatten 2017 einen Relaunch unseres Stufenkonzepts und sind zuletzt 2023 mit einem komplett überarbeiteten Konzept an den Start gegangen. Über die Jahre sind die Textmengen in den einzelnen Stufen unserer Erstlesebücher weniger geworden, der Bildanteil hat sich erhöht. Illustrationen schaffen Lesepausen, tragen zum Textverständnis bei und erzählen die Geschichte weiter. Zuletzt haben auch immer mehr Comic-Elemente Einzug in die Erstleseliteratur gehalten. Die Geschichten sind origineller geworden, die Illustrationen cooler. Wir arbeiten mit Silbenfärbung in der ersten und zweiten Klasse, mit einer besonders erstlesefreundlichen Schrift und mit Fragen zum Textverständnis. Und wir haben die Leselöwen für die 3. Klasse eingeführt. Mit Themen, die 9-jährige Kinder spannend finden und mit Textmengen, die ältere Kinder, die noch nicht gut lesen können, gut bewältigt können. Kürzlich sind unsere ersten Leselöwen Comicbücher erschienen. Für Zweitleser, also Kinder ab 7, die schon ganz gut lesen können, bieten wir spannende Stoffe als unabhängige Reihen an. Besonders erfolgreich sind „Kommissar Pfote“ von Katja Reider, „Wildpferde. Mutig und frei“ von Sabine Giebken und „Der Zauberschüler“ von Anna Taube.
Stefanie Schweizer: Mit der Marke „Duden Leseprofis” kommen wir von einem didaktisch konzeptionierten Erstleseprogramm. Das hat seine Berechtigung und auch immer noch seine Zielgruppe. Unsere Erstlesebücher unter Fischer Sauerländer, z.B. die Reihe “Der Monsterjäger-Club” von THiLO setzen stärker auf den Spaßfaktor und schaffen durch Bilderrätsel Lesemotivation. In unseren Neuentwicklungen berücksichtigen wir das veränderte Medienverhalten von Kindern und bringen viel Action zwischen die Buchdeckel.
Therese Hochhuth: Der Carlsen Verlag hat mit seinem vielseitigen Gesamtangebot schon immer erfolgreiche Erstlesebücher herausgebracht. Aber im genannten Zeitraum wurde das Segment unter der Wort-Bild-Marke „Einfach Lesen Lernen“ (ELL) deutlich ausgebaut. Durch das Branding wurde erstes Lesen bei Carlsen sichtbarer und ist auf eine umfangreiche Anzahl Bücher angewachsen. Seitdem gestalten wir das Erstleseprogramm sehr engagiert mit einer ausgewogenen Mischung aus besonderen und innovativen Büchern, ergänzt durch unsere erfolgreichen Marken wie beispielsweise „Das kleine WIR“, zu denen es nun auch Erstlesebücher gibt. So eine vielfältige Mischung zu vertreten, bringt Spaß, vor allem, wenn die Einzelgeschichten in ihrer Qualität lobend hervorgehoben werden. Auch das klassische Layout versuchen wir regelmäßig aufzubrechen. In diesen Geschichten sind zum Beispiel Comic-Elemente wie Sprechblasen und Soundwörter enthalten. Teilweise werden Seiten ganz in Panels erzählt. Der hohe und sehr abwechslungsreiche Bildanteil überfordert nicht beim Lesen und ermöglicht, die Geschichte auch auf anderer Ebene zu erfassen
Mareike Reinfurth: Wir haben den Romanbereich weiter ausgebaut und haben neben Bilderbüchern und Erstlesern vermehrt Romane für Kinder aller Altersstufen ins Programm aufgenommen. In Einzelfällen bieten wir auch schon Titel im Jugendbuch an. Wir sprechen mit all unseren Büchern Liebhaber von philosophischen, literarisch-künstlerischen Werken an, daneben aber auch Menschen, die gute, etwas eigensinnige Unterhaltung suchen. Unsere sehr erfolgreiche Vorlesebuchreihe „Du spinnst wohl!“, von der es mittlerweile acht Bände gibt, ist ein gutes Beispiel dafür. In den letzten Jahren haben wir zudem den Bereich des erzählenden Sachbilderbuchs für uns entdeckt, in dem wir auf unpädagogische Art und Weise und mit persönlicher Erzählstimme vornehmlich Themen aus der Natur behandeln.
Michael Groenewald: Unser Fokus lag zu Beginn [Anm. d. Red.: Der Kibitz Verlag wurde 2019 gegründet] ganz klar auf Comics für Kinder, die mit dem Lesen beginnen. Dieser Altersgruppe gilt nach wie vor unser Hauptaugenmerk, doch haben wir inzwischen auch Bücher für Jugendliche bzw. All-Age-Bücher im Programm, wie „Trip mit Tropf“ von Josephine Mark. Hier werden in der Zukunft mehr Titel erscheinen, wie auch Bücher für ganz junge Leser*innen in der Mache sind.
An welchem Titel haben Sie als Lektor*in mitgewirkt und möchten an dieser Stelle beispielhaft ein wenig von Ihrer Arbeit berichten?
Jeanette Hammerschmidt: Ich arbeite gerade an einem Buch für Leseanfänger*innen rund um die Welt von „Tafiti“, unserer erfolgreichen Reihe für Zweitleser, die auch häufig vorgelesen wird. Hier arbeiten wir mit Comicanteilen und viel Illustration. Da muss bei der Entwicklung der Geschichte genau überlegt werden, wie etwas gut bildlich umgesetzt werden kann. Die Illustratorin war von Anfang an eng mit eingebunden und hat die Geschichte mitentwickelt. Manches fällt erst auf, wenn die Skizzen da sind. Dann muss textlich hier und da noch mal nachgebessert werden. Das geht also häufiger hin und her als bei einem „normalen“ Erstlesebuch. Es macht aber Spaß, weil da wirklich etwas Neues entsteht. Und Kinder, die Tafiti vielleicht nur vom Vorlesen kennen, können erste kleine Abenteuer selbst erlesen.
Therese Hochhuth: Eine Reihe, die mir großen Spaß bringt, ist unsere Escape-Reihe mit Leserätseln: „Achtung! Steiler Schulweg“ und weitere Bände. Die Reihe ist aufgrund ihres Mitmachcharakters beliebt, weil die Kinder aktiv miträtseln und durch die verschiedenen Möglichkeiten das Buch mehrfach mit anderem Ausgang lesen können. Jedes wiederholte Lesen bedeutet Übung, das aktive Rätseln motiviert und teilt die Leseeinheiten in Häppchen. Dazu wird der Spannungsbogen konstant hochgehalten. Ein großer Spaß auch für Lesemuffel! In der Arbeit an den Büchern ist die konzeptionelle Herausforderung spannend: Anschlüsse, Logik und Aufbau – alles muss stimmen. Die aktive Ansprache des Lesekindes erfordert außerdem einen besonderen Stil. Andererseits mag ich die Arbeit an den besonders warmherzigen Büchern wie die Auskoppelung aus den Vorlesebüchern mit dem kleinen Herrn Heimlich: „Der kleine Herr Heimlich kommt in die Schule“. Hier wird der Bogen vom Vorlesen zum Selberlesen perfekt gespannt, und die bekannte Figur holt die Kinder direkt in der 1. Klasse ab. Mich fasziniert dabei immer wieder zu sehen, wie eine Autorin oder ein Autor es schafft, den eigenen Schreibstil, die besondere Ausdrucksform trotz der Verknappung und der geforderten einfacheren Erzählweise beizubehalten.
Stefanie Schweizer: Wir haben aktuell eine Neukonzeption in Entwicklung, die im Frühjahr 2026 an den Start geht. Text und Bild werden sehr verzahnt erzählen und das erfordert auch neue Arbeitsweisen. Die Autor*Innen und Illustrator*innen arbeiten eng miteinander, Lektorat und Herstellung/Grafik stellen dafür den bestmöglichen Rahmen. Sehr spannend und ein bisschen try and error ist natürlich auch dabei.
Mareike Reinfurth: Ich würde gerne noch einmal auf die „Was guckst du?!“-Reihe zu sprechen kommen, da die Arbeit an diesem innovativen Lesekonzept durchaus ungewöhnlich ist. Die Autorin Jutta Nymphius und der Illustrator Volker Fredrich sind nicht nur herausragende Künstler in ihren jeweiligen Disziplinen, sie sind auch ein eingespieltes Team. Und genau diese eng ineinander verzahnte Arbeitsweise hat die Arbeit an den Büchern dieser Reihe sehr besonders gemacht. Die Erzählung wird von der Autorin und dem Illustrator gleichermaßen erzählt – die Illustration ist also anders als sonst üblich nicht nachgelagert bzw. untergeordnet. Text und Bild werden beständig aufeinander abgestimmt, denn Text- und Bild-Doppelseiten wechseln sich nach fester Regel ab. Zudem soll jede Doppelseite mit einem „Cliffhanger“ enden, der motiviert, umzublättern und weiterzulesen bzw. weiterzuschauen. Da ist viel Fingerspitzengefühl in Sachen Spannungsaufbau gefragt und ein Höchstmaß an Flexibilität. Jutta und Volker haben das zum Glück beides. Die Arbeit mit ihnen ist daher ein Privileg und bereitet mir immer wieder viel Freude.
Oder Sie berichten von Ihrer Rolle als Verlagsleiter
Michael Groenewald: Kibitz ist nach wie vor ein kleiner Verlag. Während sich mein Mitverleger Sebastian Oehler hauptsächlich um die kaufmännische und vertriebliche Seite kümmert, obliegt mir schwerpunktmäßig die Arbeit mit den Autor*innen. Da wir ausschließlich Eigenproduktionen verlegen, gilt es für mich, eine ganze Reihe von Büchern in unterschiedlichen Stadien der Entstehung zu begleiten. Die Programmgestaltung erfolgt gemeinsam. Über Sebastian Oehler und mich hinaus hat Kibitz ein fantastisches kleines Team aus freien Mitarbeiter*innen, die sich um die Buchherstellung, die Pressearbeit oder um unseren Kibitz-Klub kümmern.
Gleichwohl die Begleitung je nach Autor*in mehr oder weniger eng verlaufen kann, gibt es doch einige gleichbleibende Arbeitsschritte: Ich stehe den Autor*innen von ihrer ersten Idee bzw. ihrem Exposé an als Diskussionspartner zur Seite. Zumeist entsteht zunächst ein soge-nanntes Szenario, das ähnlich einem Filmdrehbuch die Handlung schildert und die Dialoge ausführt. Dabei werden die Bildinhalte und -folgen bereits mitgedacht und beschrieben. Dieses Szenario diskutieren wir hinsichtlich der inhaltlichen Stimmigkeit: Tragen Thema und roter Faden durch die Geschichte? Sind die Figuren- und Handlungsentwicklungen stringent? Passt das Timing? Die Story sollte bestenfalls funktionieren, ehe es in den folgenden Arbeitsabschnitt geht, das Storyboard: Die gesamte Geschichte wird einmal in Skizzenform durchgezeichnet. Das Storyboard dient der Überprüfung des Rhythmus der Geschichte, des stimmigen Erzählens sowohl in den einzelnen Bildern wie in den Bildfolgen und ganzen Seiten. In unserem Bereich liegt dabei viel Augenmerk auch auf der Lesbarkeit für junge Leser*innen. Nach diesem Meilenstein komme ich oft erst bei der abschließenden Prüfung der Reinzeichnungen und des Letterings in den Sprechblasen wieder ins Spiel.
Schlussendlich gebe ich dem Buch zusammen mit den Autor*innen sowie dem Grafiker Thomas Gilke seine endgültige Form. Klassische Lektoratsarbeit also. Ist das Buch erst einmal im Druck, geht es darum, es in die Welt zu tragen, was für mich u.a. bedeutet, unsere Autor*innen bei der Planung von Veranstaltungen zu unterstützen oder unseren Agentinnen für das Ausland das nötige Material für ihre Arbeit an die Hand zu geben. Die große Herausforderung ist es, allen unseren Autor*innen bei der Arbeit dauerhaft gerecht zu werden.
Was kann man tun, damit den Kindern mehr aktuelle Erstlesebücher in Schulbibliotheken zur Verfügung stehen?
Jeanette Hammerschmidt: Hier braucht es vermutlich engagierte Lehrer*innen, die sich regelmäßig über Neuerscheinungen (z.B. Empfehlungslisten, Preise, Verlags-Newsletter) informieren und die dafür sorgen, dass der Bestand an Erstlesebüchern aktuell gehalten wird. Eventuell gibt es auch die Möglichkeit, sich aus Fördertöpfen für die Leseförderung zu bedienen, um regelmäßige Neuankäufe zu finanzieren.
Stefanie Schweizer: Da wäre mal ganz stark eine solide durchfinanzierte Bildungspolitik am Zug! Ein gesicherter Absatz durch Schulbibliotheken würde auch uns Verlagen und den kreativen Urheber*innen helfen – Erstlesebücher unterliegen einer harten Preisschwelle, zugleich sind sie bildstark vierfarbig ausgestattet – der Kostendruck ist enorm.
Mareike Reinfurth: Unsere Autor*innen und Illustrator*innen sind das ganze Jahr über auf Lesereisen durch Deutschland, Österreich und die Schweiz unterwegs. Sie lesen sehr viel an Schulen und inspirieren Kinder, selbst in die Welt der Geschichten einzutauchen. Für unsere Erstlesebücher versuchen wir von Verlagsseite aus, möglichst hohe Qualitätsstandards mit günstigen Preisen zu verbinden, um so die Budgetrestriktionen von Familien wie auch von Schulen mitzudenken. Unsere Erstlesebücher sind dafür gemacht, durch viele Kinderhände zu wandern.
Therese Hochhuth: Ich weiß aus meinem persönlichen Umfeld, wie engagiert und einfallsreich viele Lehrkräfte sind, um ihren Schülerinnen und Schülern Zugang zu Erstleseliteratur zu ermöglichen. Da werden Regalmöbel über Tauschbörsen abgeholt oder Bücherspenden gesammelt, um kleine Klassenbibliotheken aufzubauen, weil die allgemeinen Schulbibliotheken teilweise nicht ausreichend oder attraktiv genug bestückt sind. Alles in mühsamer Eigeninitiative und außerhalb jeder Arbeitszeit. Die Bemühungen Einzelner sind groß, auch schon im Kita-Bereich, wo das Heranführen an Lesewelten durchs Vorlesen beginnt. So unterstützenswert das Engagement ist, es reicht nicht aus und schafft keine Chancengleichheit. Kein Kind sollte vom zufälligen Glück abhängig sein, dass die Lehrkraft sich einer besonders engagierten Leseförderung verschrieben hat. Es braucht also ein ausreichendes und zweckgebundenes Budget, um Schulbibliotheken gut auszustatten. Darin enthalten auch Zeit und Personal, denn für die Attraktivität einer Bibliothek muss diese verlässlich zugänglich sein und gepflegt werden.
Aber nicht nur Grundschulen sind auf Erstleseliteratur angewiesen. Für eine zunehmende Anzahl von Kindern wird die nachfolgende Kinder- und Jugendliteratur zu schwierig. Sie benötigen altersgerechte Bücher in einfacher Sprache. Also Inhalte, die für die Mittelstufe interessant und entsprechend attraktiv aufgemacht sind, im Grunde aber Kriterien der Erstleseliteratur beachten. Von Verlagsseite aus unterstützen wir Schulen durch vielfältige Maßnahmen wie Lese- und Vorlesepatenschaften, Leseförderung mit einem Lesehund, kleinen Buch- und Geldspenden, Vorlese- und Lesungsschulungen und vielem mehr. Am Ende muss es aber ein bildungspolitisches Ziel sein, Lesen als Grundbestandteil von Bildung maximal zu fördern.
Oder mehr aktuelle Comics in Schulbibliotheken zur Verfügung stehen?
Michael Groenewald: Vermutlich die Verantwortlichen für die Schulbibliotheken noch stärker über die Vorzüge aktueller Kindercomics informieren. Ein übersichtlicher Informationskanal für Bibliotheken, Lehrer*innen, Medienpädagog*innen ist (nicht allein) bei uns in der Diskussion, stellt allerdings einen Aufwand dar, den wir nur in kleinen Schritten bewältigen können. Wir sind offen, über die Bedürfnisse von Schulbibliotheken in den Austausch zu gehen, die an Kindercomics interessiert sind. Eine Hürde scheint mir allerdings, dass Comics produktionsbedingt vergleichsweise hochpreisig sind, gleichwohl weder Autor*innen noch Verlag wirklich angemessen daran verdienen.
Wie könnte Ihr Verlag Katholische Öffentliche Büchereien in ihrem Engagement im Bereich der Leseförderung/Erstlesebuch/Comics unterstützen?
Jeanette Hammerschmidt: Ich könnte anbieten, dass wir in Online-Seminaren über die Entwicklungen im Erstlesebereich informieren und auch darüber, wie wichtig es ist, an diesen Entwicklungen dranzubleiben. Wir könnten unser aktuelles Stufenkonzept vorstellen und auch die Entwicklungen der letzten 10 Jahre darlegen, und wie man es unserer Meinung nach schaffen kann, Kinder zum Lesen zu motivieren.
Therese Hochhuth: Ich glaube, dass ein gegenseitiger Austausch aller Beteiligten mit dem Ziel der Leseförderung wichtig ist. Besonders die Perspektive von Lehrkräften, die ja den Leselernprozess anhand von Erstleseliteratur intensiv begleiten, findet zu wenig Beachtung. Es ist für uns auch immer interessant zu erfahren, zu welchen Inhalten, Formaten oder Auf-machungen es Bedarf gibt, für welche Zielgruppen mehr Literatur gewünscht wird. Wir bieten hin und wieder auch didaktische Veranstaltungen an, die kostenlos und digital genutzt werden können. Dort stellen wir beispielsweise Erstleseliteratur vor, oder es gibt die Möglichkeit, mit entsprechenden Autorinnen und Autoren ins Gespräch zu kommen.
Mareike Reinfurth: Auch wenn wir keine religiösen Kinderbücher im Programm haben, spiegeln viele unserer Titel Werte wider, die mit einem christlichen Wertekanon Schnittmengen haben. Dadurch, dass wir in unserem Programm durchaus „schwierige“ Themen aufgreifen, fordernde Lebensumstände und den Umgang damit zeigen, philosophische Fragen aufwerfen und zum Finden einer eigenen Haltung animieren, können unsere Bücher sicher auch in Katholischen Öffentlichen Büchereien einen Beitrag leisten, ins Gespräch mit Kindern zu kommen und hervorzuheben, wie gewinnbringend es sein kann, die Mühen des Lesenlernens auf sich zu nehmen!
Stefanie Schweizer: Mit unseren Autor*innen entwickeln wir interaktive, abwechslungsreiche Lesungen, die immer stärker einen Eventcharakter haben. Ob Schullesung oder Bibliothek – wir sind immer offen und denken auch außergewöhnliche Lesungsformate sehr gerne mit. Solche emotionale Leseerlebnisse sind in meinen Augen ein ganz wichtiger Baustein der Leseförderung.
Michael Groenewald: Aufgrund der Größe von Kibitz sehe ich hier in erster Linie beratende Unterstützungsmöglichkeiten hinsichtlich geeigneter Titel – hier ist mein Kollege Sebastian Oehler ein erfahrener Ansprechpartner – und/oder geeigneter Autor*innen, die für Veranstaltungen zur Verfügung stehen. Comiclesungen und -workshops sind ein Angebot, das Kindern und Eltern erfolgreich Comics und Spaß am Lesen vermittelt. Zudem ist Arbeitsmaterial zu unseren Büchern in Planung, das Lesevermittler*innen einen kreativen Zugang zum Umgang mit der Erzählform ermöglichen soll.