Mehr als ein Leben

"Auch sie war ein verlorenes Kind, ganz auf sich allein gestellt." Im neuen Buch der bekannten Schweizer Autorin wird das Leben von Helen, ihre Kindheit, Jugend und Erwachsenendasein differenziert aufgefächert. Als Kind ist sie einsam, immer auf der Hut, die Alkoholsucht ihrer alleinerziehenden Mutter zu vertuschen. Früh muss sie lernen, für sich selbst zu sorgen und zwischen den Bedürfnissen der kranken Mutter und dem medien-bekannten Vater zu jonglieren. Doch ihre Unterstützung und ihr "Fels in der Brandung" ist immer der Nachbarjunge Frank, auch ihre erste Liebe, die sich später zur schwierigen On-Off-Beziehung entwickelt. Als Jugendliche geht sie als Au-pair nach San Francisco, um Abstand zu gewinnen und ein freies Leben zu probieren. Erzählt werden zwei mögliche Versionen von Helens unstetem Leben zwischen familiären Verstrickungen und dem Drang nach Selbstbestimmung, aber auch zwischen der konservativen Schweizer Prägung und dem freien Leben im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten". Leider sind allzu viele Widrigkeiten und Schicksalsschläge in die möglichen Versionen der Leben der Protagonistin und den Menschen, mit denen sie lebt, verpackt: Magersucht, Alkoholismus, Scheidung, Behinderung, Tablettensucht, Liebessucht, Armut, Krebserkrankung und die Aidsproblematik der 1980er Jahre. Da wäre eine Konzentration auf einige der "schweren" Themen für den Leser einfacher "zu verdauen" gewesen. Auch die Zeit- und Personensprünge erfordern erhöhte Aufmerksamkeit beim Lesen. Manchmal einfach zu viel - selbst für mehrere Leben. Trotzdem eine berührende Geschichte, die auch deutlich macht, was kindliche Beziehungserfahrungen für das gesamte Leben bedeuten können und wie vielfältig Lebensentwürfe sind und doch gelingen. Gerne empfohlen.