Herr Gröttrup setzt sich hin
Bei den Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Tagen 2016 war Sharon Dodua Otoo gleich zweimal Erste: als erste britische und als erste Schwarze Autorin, die den Wettbewerb gewann. Der schmale Band „Herr Gröttrup setzt sich hin“ dokumentiert den Kontext des Debüts und die Anfänge ihres Schreibens. Die Titelerzählung beschreibt in drei Anläufen die Frühstückssituation bei einem Rentnerehepaar. Die Rahmenszenen sind schon humorvoll genug: Der pensionierte Raketenwissenschaftler Gröttrup beschwert sich bei seiner Frau Irmi über ein nicht weich genug gekochtes Ei und erkennt im Badezimmer nicht seine Putzfrau Ada, die seine Unterhose in der Hand hält. Die mittlere Geschichte ist eine fabelhafte Groteske. Sie wird aus der Perspektive des Eis erzählt. Die Pointe ist: Dieser Gegenstand hat sich etwas dabei gedacht, dass er nicht hart werden will. Das denkende Ei provoziert. Es köpft die Gesetze der Natur und des realistischen Erzählens. Otoos Klagenfurter Rede „Dürfen Schwarze Blumen malen?“ (2020) ist eine Lektion über sprachliche Diskriminierung. Und eine Erklärung, warum „Schwarze“ großgeschrieben etwas Anderes bedeutet: einen Widerstand gegen Fremdbestimmung und Deutungshoheit, ein Bekenntnis zu Zugehörigkeit oder Solidarität. Der dritte Text ist die Erzählung „Härtere Tage“. Den Takt gibt hier Bachmanns Lyrik vor. Ein ziemlich autobiografisches Ich setzt sich mit den Erwartungen der Eltern und den Sehnsüchten der Tochter auseinander. Ein staunenswertes Trio von Herkunftserzählungen, in denen die Autorin ihre Erzählkunst zeigt und ihr Engagement erklärt: in den Spuren von Bachmann und Böll.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Herr Gröttrup setzt sich hin
Sharon Dodua Otoo ; mit Zeichnungen der Autorin
S. Fischer (2022)
63 Seiten : Illustrationen
fest geb.