Ein Hund kam in die Küche

Der Südtiroler Autor schildert am Beispiel einer vierköpfigen Familie das Drama der Südtiroler Bevölkerung, die durch das Abkommen zwischen Mussolini und Hitler gezwungen wurde, sich zu entscheiden: für die Auswanderung in das Deutsche Reich – Ein Hund kam in die Küche oder die Zwangsitalianisierung. Die Familie des elfjährigen Ich-Erzählers Ludi entscheidet sich für die Auswanderung. Das daraus entstehende Zerwürfnis des Vaters Pepi mit dessen Bruder Rudi steht exemplarisch für die Zerrissenheit der Südtiroler in dieser Zeit. Mit den Söhnen Ludi und dem jüngeren Hanno, der als Folge von Geburtskomplikationen leicht behindert ist im Sprechen und Gehen, kommen Vater und Mutter in der neuen "Heimat" in Oberösterreich an. Doch die Familie ist dort nur kurz zusammen, Hanno wird bald in ein Kinderheim gebracht, angeblich zur genaueren Untersuchung und Behandlung, der Vater wird zur Wehrmacht einberufen. Nach einigen Monaten erhält die Mutter auf Nachfrage die Mitteilung, ihr Sohn sei in der Heil- und Pflegeanstalt an einer Lungenentzündung gestorben. Die Aussagen der Nachbarn, gewisse Opfer sei man dem "gesunden Volkskörper" schuldig, lassen die wahre Todesursache erkennen. Aus der Sicht des Halbwüchsigen, dem fortan in Nacht- und Tagträumen immer wieder der ermordete Bruder erscheint, lässt der Autor auf sehr gelungene Weise deutlich werden, wie die Toten die Lebenden auch weiterhin begleiten und beeinflussen – ganz besonders natürlich die Mutter, die ebenso verzweifelt wie vergeblich versucht, den Verlust zu verdrängen, und schließlich auch den Vater, der den Tod seines Sohnes im Nachhinein als gerechte Strafe für ein von ihm begangenes Kriegsverbrechen ansieht. Obendrein wird auf eindringliche Art vermittelt, wie schwierig für Migranten der Umgang mit der "Heimat" werden kann: Nirgendwo erfahren die Umsiedler wirklich Aufnahme, weder im Deutschen Reich noch nach ihrer Rückkunft nach dem Krieg in ihrer alten Heimat. – Eindrucksvolle Lektüre, nominiert für den Deutschen Buchpreis, sehr zu empfehlen.

Thomas Steinherr

Thomas Steinherr

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Ein Hund kam in die Küche

Ein Hund kam in die Küche

Sepp Mall
Nagel & Kimche (2025)

192 Seiten
kt.

MedienNr.: 621289
ISBN 978-3-312-01345-6
9783312013456
ca. 14,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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