Kaltfront
Staatsanwalt Salim fährt mitten im Winter in ein kleines kurdisches Bergdorf, um sich bei einem Mann zu entschuldigen, dessen Sohn vor fünfundzwanzig Jahren zu Tode gefoltert wurde. Salim hatte damals bei der Vertuschung der Tat eine Rolle gespielt.
Als er Hasan Sügücü in dessen Haus gegenübersitzt, wagt er es nicht das Thema anzusprechen. Doch als er nach der Begegnung bemerkt, dass Sügücü ihn erkannt hat, stürzt Salim sich mit seinem Wagen in die Tiefe. In Selahattin Demirtas' Geschichten geht es um das Leben der Menschen in der Türkei, um ihre Armut, ihren Widerstand und ihre Solidarität. Dazu gehört auch der Kampf eines kleinen Dorfes gegen den Besitzer eines Steinbruchs. Die von der Politik erhoffte Hilfe erweist sich als Farce. Der Autor schildert seine Figuren nicht als Helden, sondern als Menschen mit Schwächen und Ängsten. Er nimmt ihre Wut ernst, ihre Sehnsüchte und Träume. Manche der in einem einfachen, manchmal auch umgangssprachlichen Duktus geschriebenen Erzählungen sind voller Tragik, andere mit humorvoller Ironie unterlegt. Demirtas war Co-Vorsitzender der HDP und sitzt seit 2016 im Hochsicherheitsgefängnis von Edirne, da er sich für eine demokratische Türkei einsetzt.
Walter Brunhuber
rezensiert für den Borromäusverein.

Kaltfront
Selahattin Demirtas ; aus dem Türkischen von Gerhard Meier
Penguin Verlag (2023)
157 Seiten
fest geb.