Eine Art Familie
Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Nach dem Tod ihrer Eltern kommt die elfjährige Alma Grau zu verschiedenen Pflegeeltern. Schließlich wird sie in die Obhut ihres Vetters Ludwig Lendle gegeben. Zu diesem Zeitpunkt ist Alma 16. Ludwig ist Pharmakologe und erforscht den Schlaf, eine Aufgabe, von der er geradezu besessen ist. Ludwig und Alma leben über die Jahre hinweg zusammen, doch während Alma sich für den verschlossenen jungen Mann interessiert, ist Ludwig eher abweisend und muss seine Homosexualität vor der Welt verbergen. Ergänzt wird die Zweckgemeinschaft durch die Hausangestellte Paula. Alma sucht ihr Glück schließlich in wechselnden Männerbekanntschaften, während Ludwig Karriere macht. So erfindet er etwa den hochgiftigen Stoff Tabun. Das Trio übersteht in ihrer unverbindlichen Lebensgemeinschaft das Dritte Reich und bleibt auch im Nachkriegsdeutschland zusammen. Lendle erzählt seine Geschichte aus wechselnden Perspektiven und geht der Frage nach, was eine menschliche Gemeinschaft ausmacht und wie weit sie überhaupt möglich ist. Seine Sprache erinnert an die Sprache Ödön von Horváths, dessen Figuren auf ähnliche Weise in ihren schlichten und dabei manchmal radikal aufrichtigen Denkmustern gefangen sind.
Walter Brunhuber
rezensiert für den Borromäusverein.
Eine Art Familie
Jo Lendle
Penguin Verlag (2021)
362 Seiten
fest geb.