Todtnauberg

Nur ein Germanistikstudent ist verbürgter Zeuge eines historischen Treffens im Schwarzwälder Hochmoor zwischen Celan und Heidegger, zweier Antipoden des 20. Jh.: Celan, traumatisierter Holocaustüberlebender und Autor der Todesfuge, und Heidegger, Todtnauberg parteikonformer Philosoph und prominenter Verfasser wegweisender Schriften. Kunisch recherchierte Leben, Wirken und Beziehungen der zwei Männer, sammelte Notizen, Zitate und durchforstete Archive und fügte somit Rückblick und Vorausblende in eine so sich vielleicht abspielende historische Zeit. Auch sprachlich ist dem Leser dieser Versuch immer präsent, womit der Autor sensibel mit seiner sich gestellten Aufgabe umgeht, die spannende Leerstelle der Treffen der beiden Personen in Fakten einzubinden und durch Fiktion eine Deutung zu bieten. So erhält man biografische Auszüge aus Celans und Heideggers Leben und erkennt den einen als erschütterten Mann, dessen Physis und Psyche versucht, mit dem Erlebten umzugehen, und den anderen als stabile Figur einer Zeit, die es schaffte, Vergangenheit in das eigene Leben zu integrieren bzw. nichtig zu machen. Ob das ominöse Treffen 1967 nun als Abrechnung geplant war oder als Konfrontation mit dem Unerhörten, bleibt offen. Wahrscheinlich ist lediglich eine gewisse Anziehung der beiden zueinander, die die Schriften des jeweils anderen kannten und aus wohl unterschiedlichen Gründen eine Auseinandersetzung suchten. Wer sich mit Celan und Heidegger beschäftigt, entdeckt viel Bekanntes, das Kunisch einzigartig in eine Geschichte packt, die Verknüpfungen anbietet, wo Fragen standen.

Christine Vornehm

Christine Vornehm

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Todtnauberg

Todtnauberg

Hans-Peter Kunisch
dtv (2020)

350 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 953560
ISBN 978-3-423-28229-1
9783423282291
ca. 24,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: Li, Ph
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