Opfer

Als ein Lehrer in der Schule mit Nasenbluten zusammenbricht, freuen sich die Schüler zunächst über den ausfallenden Unterricht. Doch dann tauchen Regierungsbeamte auf und erklären das Schulgelände zum Quarantänegebiet, um das ein Zaun errichtet wird. Hubschrauber werfen Kisten ab, die neben Nahrung und Medikamenten auch Leichensäcke enthalten. Und tatsächlich, unter den Eingeschlossenen breitet sich eine unheimliche Epidemie aus, der immer mehr Lehrer und Schüler zum Opfer fallen. Jeder, der versucht, über den Zaun zu klettern, wird von einer Drohne erschossen. Mit jedem weiteren Tag dieser Krise zerfällt die vorher so harmonische Schulgemeinschaft mehr. Während die einen versuchen, das Überleben zu organisieren und sich um die Kranken zu kümmern, scharen sich andere um vermeintlich starke Anführer, die angesichts des Ausnahmezustands alle Hemmungen über Bord werfen. Der Schluss bleibt seltsam offen: irgendwann entdecken die letzten Überlebenden eher zufällig, dass der Weg nach draußen offen steht. - Der dänische Autor lässt den Sohn des Schuldirektors von den verstörenden Ereignissen berichten. Wie dieser Erzähler hat auch der Leser zu keinem Zeitpunkt Informationen über den Hintergrund der Epidemie. Der knappe, kühl und distanziert formulierte Text konfrontiert ihn unmittelbar und völlig emotionslos mit den ethischen Fragen, die eine derartige Katastrophe unweigerlich aufwirft: Darf man einige opfern, um viele zu retten? Was ist ein Menschenleben wert? Wie reagieren Menschen angesichts eines lebensbedrohlichen Ausnahmezustands? Was passiert mit den moralischen Grundlagen einer Zivilgesellschaft, die unter Druck gerät? Der kurze Text reißt viele dieser Themen nur an und geht bei der Beschreibung der zahlreichen Episoden des Dramas selten in die Tiefe. Das wird vielen Lesern den Zugang zum sperrigen und manchmal verstörenden Text erschweren, macht das Buch allerdings zu einer sicherlich gefragten Klassenlektüre und zur Grundlage vieler Diskussionen. (Übers.: Friederike Buchinger)