Jenseits des Schweigens

Die sieben letzten Worte Jesu (u.a. "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" - "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?") bilden den Höhepunkt des Dramas, das mit Marias "Ja" begann und bis heute fortdauert. Der Dominikaner Timothy Radcliffe meditiert sie weise, weltoffen und lebensdienlich; jegliche Glorifizierung von Leid liegt ihm fern. Erst die Auferstehung verleiht ihnen ihren Sinn. Der Tod konnte Jesus nicht zum Schweigen bringen, vielmehr haben seine Worte das Schweigen des Grabes gebrochen. Deshalb können wir uns von ihnen tragen lassen, "was auch immer uns bevorsteht", ist Radcliffe überzeugt. An keinem Wort lässt sich das so deutlich zeigen wie an Jesu Aufschrei: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Dieser Ausruf halte die Hoffnung aufrecht, dass Gott auch dann, wenn Worte nichts mehr ausrichten können, noch anwesend ist. "Und wenn wir gar keine Worte mehr haben ... dann können wir seine nehmen", schreibt Radcliffe und berichtet von seiner Sprachlosigkeit angesichts des Völkermords in Ruanda, dessen Augenzeuge er wurde. Diese Verknüpfung seiner Gedanken mit seiner Lebenserfahrung verleiht dem Text eine wohltuende Bodenhaftung. Zu jeder Meditation hat Radcliffe das Bild eines Kreuzes aus seinem Besitz hinzugefügt, das auf seine Weise jedes dieser Worte erläutert. Auch wenn diese sieben Worte vor langer Zeit gesprochen wurden, gehören sie nicht der Vergangenheit an, schreibt Radcliffe. Christus spreche sie immer noch, in uns. Sie enthalten das Vermächtnis, "das Schweigen über den Gräbern der Menschheit zu brechen". - Timothy Radcliffes Buch ist eine anregende Einstimmung auf Ostern, reicht aber weit darüber hinaus, weil es Hoffnung weckt und ermutigt, gegen das Leid und die vordergründigen Fakten auf Gott zu vertrauen. Eine Lektüre, von der man auch in schweren Zeiten zehren kann. (Religiöses Buch des Monats April)