Die schuldigen Hirten

Spätestens mit dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle im Berliner Canisius Kolleg im Jahr 2010 hat die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche in Deutschland begonnen. Nach mehr als einem Jahrzehnt und einer Vielzahl an Die schuldigen Hirten neuen Studien zu diesem Thema ist es für den Autor und Historiker Thomas Großbölting an der Zeit, eine Gesamtschau des bisher Bekannten zu veröffentlichen. Doch einem Anspruch auf ein Gesamtbild, wie es unter anderem auf dem Klappentext heißt, kann das Buch nur überblicksweise gerecht werden. Der Inhalt wird stark von der Forschungsarbeit des Zeithistorikers zu den Missbrauchsskandalen im Bistum Münster beeinflusst, so werden häufig Beispiele aus diesem Bistum herangezogen. Seine Beobachtungen und Schlussfolgerungen sind jedoch auf Fälle in ganz Deutschland übertragbar. Für Großbölting sind die Ereignisse, die zum Teil viele Jahrzehnte zurückliegen, nicht allein auf ein individuelles Fehlverhalten einzelner Geistlicher zurückzuführen, sondern vielmehr auf ein systemisches Versagen, mehr noch sind die Vorfälle seiner Meinung nach ein Produkt einer hierarchischen, nichtreformierbaren und auf Machterhalt bedachten Kirchenorganisation. Damit erschüttern die Schlussfolgerungen des Autors das Fundament der katholischen Kirche. Er stellt gar in Frage "ob die aktuelle Struktur überhaupt eine adäquate Organisationsform christlichen Glaubens ist" (S. 231). Die wachsende Zahl der jährlichen Kirchenaustritte zeigen, dass viele Gläubige mittlerweile ähnlich radikal denken und eine Zäsur in der Kirchengeschichte, wie sie Großbölting ausmacht, wahrscheinlicher wird.

Sebastian Heuft

Sebastian Heuft

rezensiert für den Borromäusverein.

Die schuldigen Hirten

Die schuldigen Hirten

Thomas Großbölting
Herder (2022)

288 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 609558
ISBN 978-3-451-38998-6
9783451389986
ca. 24,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: Re
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