Wannsee
Das spannend erzählte und gut lesbare Buch widmet sich dem Wannsee, gelegen im Südwesten Berlins. Gerühmt als Naturerholungsgebiet ist der Wannsee jedoch weit mehr, er ist – so die Autoren – Sehnsuchts- und Schicksalsort, ein Ort, der für viele zum Mythos wurde. In 10 Kapiteln, die nicht chronologisch, sondern thematisch geordnet sind, legen Arntz und Schmale – veranschaulicht durch historisches Bildmaterial – offen, welche politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen hier realisiert wurden, welche Menschen hier lebten, welche Spuren davon noch zu finden sind und warum diesem Ort ein wichtiger Platz in der deutschen Geschichte zukommt. Dies alles wird nicht in langatmigen Beschreibungen beantwortet, sondern mit Personen und Begebenheiten verknüpft. Die Anfänge dieses gesellschaftlichen "Hotspots" liegen im 19. Jh., als die reichen Berliner Bankiers und Unternehmer sich von berühmten Architekten luxuriöse Villen bauen ließen, in denen sich das gesellschaftliche Leben Berlins abspielte, was verständlicherweise zahlreiche Künstler, Maler (u.a. Max Liebermann) und Intellektuelle veranlasste, sich ebenfalls am Wannsee niederzulassen. Anschaulich schildern die Autoren diesen Prozess, verweisen aber auch auf die Erholungsmöglichkeiten für die "normale" Bevölkerung (z.B. Strandbad). Doch der Nationalsozialismus beendete diese von Freiheit und Ungezwungenheit geprägte Zeit: die meist jüdischen Villenbesitzer wurden enteignet, Nazigrößen (Goebbels, Speer) zogen in die herrschaftlichen Häuser ein und in einer der Villen (heute Gedenkstätte) wurde am 20.01.1942 die "Endlösung der Judenfrage" beschlossen. Krieg, Zerstörung, Teilung, Mauerbau, Isolation, Wiedervereinigung, Hauptstadt, Kultur und Tourismus sind weitere Meilensteine, die von den beiden Autoren zu einem informativen und lebendigen Blick auf den Wannsee gestaltet werden. – Sehr zu empfehlen!
Inge Hagen
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Wannsee
Jochen Arntz und Holger Schmale
Herder (2024)
224 Seiten : Illustrationen, Karte
fest geb.