Willensfreiheit
Im Untertitel türmt sich die ungeheure Menschheitsfrage auf: "Bestimmt mein Gehirn..." (mich?) "oder bestimme ich?" (wen?) - also eine bereits mehrdeutige Frage, die eigentlich immer unlösbar bleibt, wie auch der Autor zugibt. Dennoch unternimmt
er es, mit scharfem Verstand und einem profunden Hintergrundwissen den neuerlichen Streit zwischen klassischen Philosophen und Naturwissenschaftlern abzugrenzen, sogar zu schlichten. Die Aktualität des Themas rührt nicht nur her von den Ergebnissen mancher (nicht aller!) Neurophysiologen, die eine echte menschliche Willensfreiheit glatt verneinen, sondern auch von unserer psychologischen Verunsicherung. Es geht ja dabei um unser eigenes Denk- und Urteils-Organ, mit dem Hirn- und Sprachleistungen analysiert werden sollen - vor allem: welche negativen Folgerungen das hätte fürs Recht (Strafen) und unsere mitmenschliche Moral überhaupt (Schuld und Verantwortung, aber auch Dankbarkeit + Verzeihen), wenn letztlich alles Denken und Tun determiniert wäre; gerade diese Ausführungen im Schlusskapitel ("Was wäre wenn") erscheinen besonders treffend und bedenkenswert. In 8 Kapiteln breitet der Autor den aktuellen (durchaus kontroversen) Stand der neurologischen Wissenschaft aus, setzt philosophische Einwände dagegen. Und dies in einem fast unterhaltsamen Ton, unter Einbeziehung des mitdenkenden Lesers. Eine kaum überbietbar vielseitige Literaturliste und verwandte Leseproben runden diese anspruchsvolle dialogische Studie ab.
Harald Grimm
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Willensfreiheit
Marco Stier
Reinhardt (2014)
181 S. : Ill., graph. Darst.
kt.