Die Einstellung

Mit welcher Einstellung machen Populisten Politik? Der in Tel Aviv geborene, in Wien lebende Schriftsteller Doron Rabinovici hat darauf eine künstlerische und in hohem Maße aktuelle Antwort parat. Er siedelt die fiktive Handlung um den Spitzenkandidaten einer populistischen Partei, der gegen Migranten, Frauen, die Presse hetzt, in einem sehr zeitgenössisch wirkenden Österreich an. Als Gegenspieler stellt er ihm einen charismatischen Fotografen gegenüber, ohne dessen Bild keine Geschichte in die Zeitung kommt. Dieser, August Becker, trifft den Politiker Ulli Popp bei einer Kleinstadt-Wahlveranstaltung, beim Joggen, auf einem Partyschiff - und fällt grandios auf ihn herein. Popp erwirbt ein von Becker geschossenes Foto, das ihn in verfänglicher Pose bei einem Fassanstich zeigt; der Fotograf finanziert mit dem üppigen Honorar das Studium seines Sohnes. Aus diesem Gewissenskonflikt entwickelt Rabinovici eine ebenso spannende wie lehrreiche Geschichte. Sie geht um die Zwangsverflechtungen zwischen Politik und Kunst. Faszinierend und aufschreckend wird erzählt, wie der Populist seine dubiose Kunst rechtfertigt, die richtigen Fragen zu stellen, und wie der Fotograf seine Einstellung verliert, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Auf diese Weise wird der Roman zum Porträt einer gespaltenen Gesellschaft, zur Momentaufnahme von Hate Speech und Fake News. Fotografien allein können Populisten nicht entlarven, so viel ist klar. Die Geschichte, die sie erzählen, schon! Rabinovici lässt seinen Roman mehr sagen als das Foto, um das sein Plot kreist. Dazu tragen die beiden weiblichen Hauptfiguren maßgeblich bei: Beckers Begleiterin, die prinzipienstarke Journalistin Selma, und seine zeitweilige Geliebte, die pragmatische Kolumnistin Marion, die tief in die Geschichte verstrickt ist. Wahrscheinlich wird das Buch in Deutschland anders, vielleicht noch parabolischer als in Österreich gelesen. Das bestärkt seinen aufklärenden Wert. Überaus empfehlenswert.