Das Gegenteil eines Menschen

Wie überlebt man in einer Welt, die man sich nicht ausgesucht hat? Fridays for Future, Future Planet, Klimawandelromane: Die Antworten fallen, bei aller Einigkeit in dem Ziel, etwas Sinnvolles und Nachhaltiges gegen die Klimawandel zu unternehmen, recht unterschiedlich aus. Zynischer Witz, Philosophie, Religion und Klimaaktivismus. Das sind die Eigenschaften, mit denen die niederländische Autorin Lieke Marsmann ihre Heldin Ida auf die epische Reise schickt. Ida lebt in Amsterdam, sie ist Klimawissenschaftlerin, lebt mit der Romanistin Robin zusammen. Die äußere Handlung wird durch Idas Mission angestoßen, sich an einem Forschungsprojekt in den norditalienischen Alpen zu beteiligen, wo ein Staudamm gesprengt werden soll. Spannender ist allerdings die innere Handlung. Hier geht es um Wandlungen von Identität und Seele. Ida, die sich schon als Kind in Naturgegenstände hineinimaginierte, sucht nach einem Ort für ihr Geschlecht, ihre Herkunft und ihr Lebensziel. Getrieben wird sie von der Idee, dass sie, wenn der Mensch schlecht ist und sie selbst gut sein will, das „Gegenteil eines Menschen“ werden muss. Das geht manchmal nur mit Kopfständen und kuriosen Deutungen von Kant oder Kierkegaard. Auflockernd kommentiert wird diese Selbstsuche außerdem mit philosophischen Zitaten, Handke-Lektüren und Gedichten von Robert Creeley. - Der Roman verteidigt keine Position, er verbirgt seine Suchbewegungen nicht und lädt am Ende dazu ein, die Lücken, auch die der Erkenntnis, auch als sichere Höhlen zu sehen. Das wiederum hat einen eskapistischen Beiklang. Nicht ganz ohne Widersprüche erzählt, sei das jetzt intendiert oder nicht, aber im Ganzen eine Leseempfehlung!