Die sieben Sprachen des Schweigens
Schweigen kann man aus Angst, Scham, Faulheit, Dummheit, Unentschiedenheit, aus Unter- oder Überlegenheit. Aber es gibt natürlich noch mehr Spielarten des Schweigens, dessen eigenartigen Sprachen Friedrich Christian Delius hier in drei eindringlichen Essays auf die Spur kommt. Es sind tatsächlich Sprachen, denn das Schweigen, so autobiografisch dicht wie noch nie in seinen Büchern es der Autor hier angeht, hat ihm und uns etwas zu sagen. Die erste Story beginnt heiter mit einer bunten Batikkrawatte. Sie war ein Geschenk, das der Autor 1994 in Jerusalem bekommen hat. Dahinter kommt eine ergreifende Backstory zum Vorschein. Delius war stiller Gast auf einer Autorentagung dort. Bis ihn ein hebräischer Autor auf seine Erzählung „Ich war Isaak“ anspricht und ihm erklärt, er, Delius, habe der biblischen Figur endlich eine Stimme gegeben, jenseits der theologischen Debatten um Opfer und Gehorsam. Die zweite Geschichte spielt 2003 in Jena. Hier geht es um Imre Kertész‘ diebische Freude an einer wortlosen Verständigung, die kein Einverständnis sein muss, aber Pausen schafft, in denen das Nicht-Mehr- oder Noch-Nicht-Gesagte bedacht wird. Die Schlusserzählung handelt von stimmlosen Stimmbändern. 2008 war der Autor nach einer Virusinfektion praktisch stumm aus einem Koma erwacht. Das Buch bricht eine Bahn für das Schweigen in einer redseligen Kultur, fürs mutige Inne- und Aushalten, für eine Revolte gegen die Sprachsatten und Begriffsverliebten. Sehr zu empfehlen.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Die sieben Sprachen des Schweigens
Friedrich Christian Delius
Rowohlt Berlin (2021)
186 Seiten
fest geb.