Von Kasan bis Bergen-Belsen

Dieses bemerkenswerte Buch enthält die autobiografischen Aufzeichnungen des sowjetischen Kriegsgefangenen Tamurbek Dawletschin (1904 Sidjär - 1983 München) von seiner Einberufung in die Rote Armee (21.6.1941) bis zu seiner Entlassung aus deutscher Kriegsgefangenschaft (7.7.1942). Die während dieser Zeit von ihm beschriebenen Ereignisse bzw. Erfahrungen sind - so Rolf Keller in seinem den historischen Hintergrund erklärenden Beitrag - nicht als persönliches Einzelschicksal zu sehen, sondern sie stehen exemplarisch für die unmenschliche Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener, denen von der NS-Führung der Gefangenenstatus nach der Genfer Konvention von 1929 verweigert wurde (Begründung: kein Beitritt der SU zum Abkommen). Kurz nach seiner Einberufung gerät er in Gefangenschaft, die er zunächst als angenehmer als den Krieg empfindet, was sich aber bald ins Gegenteil verkehrt. Auf langen Märschen, geschwächt durch Hunger und Krankheiten, geschunden durch die deutschen Bewacher, gelangen die Gefangenen über Riga und Tilsit nach Bergen-Belsen, wo eine Typhus-Epidemie tausende Opfer fordert. Von dort wird Dawletschin in ein Lager nahe Berlin verlegt, wo er im Juli 1942 entlassen wird. Damit enden seine Aufzeichnungen, in denen er alle Geschehnisse so beschreibt, wie er sie beobachtet und erlebt hat: nüchtern und detailliert, ohne Anklage zu erheben oder Bewertungen abzugeben. Er sieht sich als "Opfer und Gegner zweier politischer Systeme, zweier Willkürherrschaften." Im Vorwort gibt Dawletschins Tochter einen aufschlussreichen Einblick in das Leben ihres Vaters (solide Schulausbildung, Jura-Studium, Dozent, Rechtsberater der Tatarischen Republik - Krieg und Gefangenschaft - Arbeit am Geheimsender "Vignette", Fertigstellung eines tatarisch-deutschen Wörterbuchs, Mitarbeiter/Direktor bei "Radio Liberty") und vervollständigt so den Blick auf dessen Persönlichkeit. - Empfehlenswert!