Bohème, Revolte und Exil
Basierend auf einer gewaltigen Recherchearbeit erstellt der Autor nicht nur lebendige Charakterbilder dreier Persönlichkeiten, sondern es gelingt ihm auch eine differenzierte Gesamtschau auf die ersten, noch glorreichen Jahre der Belle Époque und
des Wilhelminischen Kaiserreichs, die einsetzende und anhaltende Brutalität des NS-Regimes, den Krieg und sein Ende 1945. Diese dramatischen Entwicklungen zeichnet er an Ilse (1880-1974), Balder (1882-1949) und Rudolf Olden (1885-1940) nach, die alle in enger Verbindung zu Prominenten aus Kultur, Gesellschaft und Politik standen. Sehr ausführlich, z.T. verwirrend durch Orts- und Zeitenwechsel, beleuchtet und erklärt Poeschel die zeitgeschichtlichen Hintergründe, ihre Auswirkungen auf die Reaktionen der drei Protagonisten und ihres großen Freundes- und Bekanntenkreises. Die Geschwister stammen aus einer wohlhabenden, großbürgerlichen, im Kulturleben fest verankerten Familie – die Mutter (Rosa Stein) aus einer Schauspielerdynastie, der Vater (Johann Oppenheimer, Namensänderung in Hans Olden) aus einer berühmten jüdischen Familie. Bekannt als Hitlergegner gerieten sie ins Visier der Gestapo und sahen sich gezwungen, Deutschland zu verlassen. Ilse Olden, begüterte Gräfin Seilern-Aspang, lebte in der Schweiz, von wo sie – soweit möglich – ihre Brüder, die beide im Exil lebten, finanziell und mental unterstützte. Balder, bis 1933 ein bekannter Schriftsteller, lebte in Prag, Paris, Marseille, von wo er nach Argentinien entkommen konnte und sich schließlich in Montevideo (Uruguay) niederließ, wo er sich intensiv für deutsche Exilanten einsetzte. Rudolf, erfolgreicher Journalist und Jurist (Verteidiger von Carl v. Ossietzky) ging ins Exil nach Prag, weiter nach Paris, London und wurde auf der Isle of Man interniert. 1940 entlassen kam er bei der Überfahrt nach Kanada ums Leben, als sein Schiff torpediert wurde. – Bei Interesse an außergewöhnlichen (Familien-) Schicksalen.
Inge Hagen
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Bohème, Revolte und Exil
Thomas Poeschel
Wallstein-Verlag (2024)
382 Seiten
fest geb.