Selbstverlust und Gottentfremdung
Die Herausgeberinnen legen anonyme Erfahrungsberichte Betroffener vor zu spirituellem Missbrauch an erwachsenen Frauen in Orden, geistlichen Gemeinschaften und Seelsorge. Sie wollen damit "spirituellen Missbrauch aus der Perspektive betroffener Frauen
nachvollziehbar […] machen" (S. 28). Diese Berichte sind schwer erträglich und Lesende bekommen eine Ahnung davon, welches Leid den Betroffenen zugefügt wurde: körperlich, psychisch und spirituell. Es gibt verschiedene Hilfestellungen, die es ermöglichen, die in den Berichten zutage tretenden missbräuchlichen Situationen und Handlungen der Täterpersonen besser einordnen zu können. Sowohl die Hinführung zum Thema im Vorwort als auch die Beschreibung von zwölf Merkmalen und Mustern spirituellen Missbrauchs sind dafür geeignet. Verschiedene Problembereiche, die spirituellen Missbrauch fördern, werden in eigenen Kapiteln analysiert: Klöster als "totale Institutionen" (S. 253), die die gesamte Lebensführung von Menschen bestimmen; das Problem eines missbräuchlich eingesetzten Gehorsams in Gemeinschaften; Fragen des positiven Einsatzes von Macht und der hohen Kunst des Leitens, die Freiheit und Entfaltung ermöglichen. Außerdem werden die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage zu Erfahrungen mit Machtmissbrauch im pastoralen Dienst vorgestellt. Am Ende steht der Appell, sich schonungslos der Wahrheit zu stellen, sich vom Leid der Opfer berühren zu lassen und neu über Grundfragen des Ordens- bzw. Gemeinschaftslebens nachzudenken, um toxische Situationen im Keim ersticken zu können. Diese Publikation gehört in die Hände aller Personen, die Leitung in kirchlichen Gemeinschaften, Orden und im pastoralen Dienst wahrnehmen. Außerdem kann sie der Bewusstseinsbildung und Aufklärung von kirchlich engagierten Menschen dienen. In ausgebauten Beständen und für theologisch oder kirchenpolitisch interessierte Lesende sinnvoll.
Lioba Speer
rezensiert für den Borromäusverein.

Selbstverlust und Gottentfremdung
Barbara Haslbeck, Ute Leimgruber, Regina Nagel, Philippa Rath (Hg.)
Patmos Verlag (2023)
302 Seiten
fest geb.