Namen statt Nummern
Die Rechtsmedizinerin ist seit Jahren maßgeblich beteiligt am Aufbau einer Datenbank für nicht identifizierte Todesopfer. Sie nimmt sich eines sehr tragischen, erschütternden Themas an: der seit 20 Jahren zu Abertausenden im Mittelmeer ertrunkenen Migranten, viele an den Küsten Italiens angeschwemmt, von denen die wenigsten identifiziert wurden - weil sich niemand verantwortlich fühlt. Sie schildert, welche Anstrengungen jeweils unternommen werden, wenn Katastrophen passieren, weltweit, bei denen "westliche" Opfer beteiligt sind, bis die Toten identifiziert sind, Angehörige Gewissheit und damit die Möglichkeit zum Trauern erhalten. Seit ein Unglück vor Lampedusa 2013 mit fast 400 ertrunkenen Eritreern die Öffentlichkeit aufrüttelte, übernahmen Cattaneo und Mitarbeiter die mühselige Aufgabe, bis heute noch weltweit verstreuten Angehörigen ihre Toten "zurückzugeben". Auch 2015 nach dem Untergang des mit 1000 Menschen völlig überladenen "BARCONE" sind Cattaneo und ihr Team als freiwillige Obduzenten vor Ort. Sie schildert sehr anschaulich und detailliert, wie bei solchen Identifizierungen vorgegangen wird, sowohl den medizinisch-technischen als auch den zutiefst anrührenden, (mit)menschlichen Teil, und macht klar, dass egal, woher die Toten stammen, immer irgendwo bangende Angehörige auf ein Lebenszeichen hoffen - oder doch wenigstens wissen wollen, was mit ihren Liebsten geschah. Nichts für schwache Gemüter, aber eigentlich Pflichtlektüre in Zeiten, in denen (mal wieder) über Kolonialismus, Rassismus und Menschenwürde diskutiert wird.
Elisabeth Bachthaler
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Namen statt Nummern
Cristina Cattaneo ; Fotos von Mattia Balsamini ; aus dem Italienischen von Barbara Sauser
Rotpunktverlag (2020)
205, [8] Seiten : Illustrationen (überwiegend farbig)
fest geb.