Der Mond flieht

Ein Juni in Nord-Finnland. Der Sommer ist anders hier: Die Tage endlos, die Landschaft unerschöpflich weit, die Luft erfüllt vom Schwirren der Mücken. Vor dieser archaisch anmutenden Kulisse spielt Rax Rinnekangas kompakter Roman "Der Mond flieht." Eine Coming-of-age-Story, die auf der Grenzlinie zwischen Kindheit und frühem Erwachsenenalter balanciert. Der 13-jährige Lauri verbringt seine Ferien auf dem Bauernhof seines Onkels Eino und seiner Tante Marjaana. Mit deren Kindern, dem schüchternen Leo und der ungestümen Sonja, bildet der Junge aus der Stadt bald ein unzertrennliches Trio. Die drei durchstreifen die karge Gegend rund um den Einsiedlerhof, und es dauert nicht lange, bis sie auch erste sexuelle Erfahrungen teilen. Vom ersten Absatz an ist klar, dass die Geschichte auf eine Tragödie zuläuft. Die Katastrophe trennt den Roman im Grunde in zwei Teile - ein Davor und ein Danach. Rinnekangas spannt den Bogen jedoch über drei Kapitel: "Freude" - "Trauer" - "Sühne", und deutet so an, worin das eigentliche Motiv seines Romans besteht: die am Ende vergebliche Verteidigung der kindlichen Unschuld gegen die von Verantwortung und Pflichterfüllung regierte Welt der Erwachsenen. Dass Letztere der spröden Sittsamkeit einer christlichen Sekte verhaftet sind, macht den Gegensatz der beiden Sphären noch größer. Der Roman, aus der Rückschau des erwachsenen Lauri erzählt, zeichnet sich durch eine präzise Prosa aus - arm an Dialogen, dafür reich an erzählerischer Dichte. Verwunderlich, dass dieses großartige Beispiel finnischer Gegenwartsliteratur erst 23 Jahre nach dem Erscheinen des Originals auf Deutsch herauskommt. Freuen wir uns, dass es uns zumindest jetzt zur Verfügung steht. (Übers.: Stefan Moster)