Zusammenhalten
Vor einem Jahr brach die Flutkatastrophe über das Ahrtal, Teile des Rheinlands und der Eifel herein. Die Verwüstungen, die die bis zu 10 Meter hohe Flutwelle im Ahrtal angerichtet hat, sind unvorstellbar, die Spuren bis heute unübersehbar - sowohl die an und in Gebäuden (sofern sie noch stehen) als auch die, die die Ereignisse bei den Menschen hinterlassen haben. - Jörg Meyrer, Pfarrer von Bad Neuenahr-Ahrweiler, beschreibt, wie er die Flut und die Tage danach erlebt hat, erzählt von Begegnungen mit Menschen aus dem Ahrtal und den Helfern, die in den Tagen, Wochen, Monaten danach angepackt haben und gezeigt haben, wie solidarisch unsere Gesellschaft sein kann. - Von Anfang an, also vom 15. Juli an, war Meyrer klar, wo die Kirche in dieser Situation hingehört: „auf die Straße, zu den Menschen. - Mal konkret beim Anpacken. Mal beim Nachfragen und Zuhören. Oder von Haus zu Haus.“ Dadurch wurden Meyrer und die Kirche im Ahrtal in ein Netzwerk aus professionellen und freiwilligen Helfern eingebunden, das die Not zu lindern versuchte und das Aufräumen organisierte. Zuhören, da sein, anpacken, motivieren, Perspektiven bieten – darin sahen Meyrer, seine Mitarbeiter*innen und die vielen anderen Seelsorger*innen, die aus dem Bistum Trier ins Ahrtal kamen, nach der Flut ihre Aufgabe. Meyrer verschweigt auch nicht, dass ihn die Flutkatastrophe auch geistlich getroffen hat. Fünf Tage nach der Flut postete er auf seinem Facebook-Account: „Ich kann nicht mehr beten. Es geht nicht. Die vertrauten Worte passen nicht mehr.“ Ein Psalm, verfasst von seinem Studienkollegen Stephan Wahl, hat ihm die Worte wiedergegeben: „Alles wurde mir genommen. Alles! / Weggespült das, was ich mein Leben nannte. Mir blieb nur das Hemd nasskalt am Körper, / ohne Schuhe kauerte ich auf dem Dach. Stundenlang schrie ich um Hilfe, / um mich herum die reißenden Wasser.“ - Geholfen hat Meyrer außerdem, dass andere stellvertretend beten - für ihn wie für alle von der Flut betroffenen Menschen. Eine Frage zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch: Welche Folgen hat die Flut für die Arbeit der Kirche? Seit der Flut ist er mehr denn je überzeugt, dass die Kirche an die Seite der Menschen gehört. Als Begleiterin, die Nichtwissen und Dunkelheit aushält, die sich ihrer eigenen Schuld bewusst ist und zu den Menschen steht, unabhängig davon, ob sie zur Kirche gehören oder nicht. Dieses Buch ist eine gelungene Verknüpfung aus Reportage und Nachdenklichkeit. Der Text ist gerade durch die Facebook-Posts von Meyrer dicht an den Ereignissen. Man kann das Buch kaum lesen, ohne einen Kloß im Hals zu spüren, weil man bestürzt ist von der Zerstörung und zugleich tief angerührt von der Hilfsbereitschaft der Menschen und dem geistlichen Mut, der auf jeder Seite sichtbar wird. (Religiöses Buch des Monats August)
Christoph Holzapfel
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Zusammenhalten
Jörg Meyrer
Bonifatius (2022)
256 Seiten : zahlreiche Illustrationen
fest geb.
Auszeichnung: Religiöses Buch des Monats