Anstand
Den Vietnamveteran David (68) lassen die erlebten Kriegsgräuel nicht los - wie so viele seiner Schicksalsgefährten. Seit den Tagen im südasiatischen Dschungel wittert er immer und überall einen Hinterhalt. Als er wegen eines Hirntumors operiert werden muss, glaubt er, "die Regierung" wolle ihm auch die Erinnerungen herausschneiden. Als er anschließend Pflege braucht, muss er sich mit seinem Sohn arrangieren, einem linksliberalen "Weichei", mit dem er immer wieder aneinandergerät. Dadurch jedoch kann er mit seiner heiß geliebten Enkelin Ella Zeit verbringen. Ihm wird klar, dass er sich mit dem Erlebten auseinandersetzen muss, um seinen Frieden zu finden - vor allem auch mit seinem Erzfeind aus dem Krieg, Clayton Fire Bear - und beschließt, seine Erfahrungen aufzuschreiben. In diesem Bericht über sein Leben redet David über all das, das er nie jemandem hat erzählen können. Davids Sprache ist direkt und ungeschönt, grob und politisch unkorrekt. Seine Äußerungen sind gleichzeitig scharfsinnig, unsentimental, oft lustig, immer unterhaltsam und immer zutiefst menschlich. David hat viel Böses gesehen und selbst Böses getan, was er in wenigen Worten andeutet. Aber das reicht aus, um den Lesern/innen eine Ahnung davon zu vermitteln, wozu Menschen im Krieg fähig sind. Die gefürchtete Begegnung mit Clayton Fire Bear aber überwindet auf zutiefst berührende Weise dieses Böse. Auf den ersten Blick scheint David ein unerträglicher republikanischer Rassist zu sein, doch bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass diese Schublade nicht passt - genauso wenig übrigens wie die Schublade "guter Weißer Demokrat" für seinen Sohn Hank. Sehr lesens- und empfehlenswert! (Übers.: Ulrike Wasel u. Klaus Timmermann)
Anstand
Matthew Quick
Harper Collins (2017)
272 S.
fest geb.
Auszeichnung: Roman des Monats