Das russische Testament

Tania wächst in den 1980ern in Kalkutta, im damals kommunistischen Westbengalen auf, früh durch die Bücher im Laden ihres Vaters mit der russischen Literatur vertraut; von der Mutter ungeliebt, vom Vater unbeschützt, entflieht sie der harten, von Das russische Testament prüder Sexualmoral, Kastenwesen und Rollenbildern geprägten Realität in die phantastischen Erzählungen aus Kinderbüchern und Klassikern der russischen Weltliteratur. Während ihres Studiums der russischen Sprache und Literatur macht sie sich auf die Suche nach dem (realen) verschollenen Gründer des in den 1920ern berühmten Raduga-Verlages, dessen wunderbare Kinderbücher weltweit begeistert hatten, bis die stalinistische Umerziehung Bücher und Verlag vernichteten. Auf verschlungenen Wegen findet sich tatsächlich die letzte überlebende Tochter von Lew Kljatschko, Adel, in einem Altersheim in St. Petersburg. In einem Brief schildert Tania ihre Sehnsucht, alles über Adels Vater zu erfahren. Für die fast Neunzigjährige öffnet sich damit die Tür zu ihrer lange verdrängten Vergangenheit, fast ein Jahrhundert russische/jüdische Geschichte; die erschütternden Erinnerungen überwältigen sie, und sie zögert, ob sie "diesem Mädchen aus einem weit entfernten Land, wo Kühe mehr wert sind als Frauen" die sorgsam gehüteten Tagebücher ihres Vaters anvertrauen kann. - Ein faszinierender Roman; Geschichte, Kultur, Politik, widergespiegelt in den Lebensgeschichten zweier Frauen aus zwei Kontinenten, mit außereuropäischem Blick auf Europas 20. Jh., Literatur als Quelle von Träumen und Möglichkeiten, als Flucht- und Widerstandsort, als Brücke über Raum und Zeit und zwischen Menschen. Sehr gern gelesen!

Elisabeth Bachthaler

Elisabeth Bachthaler

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Das russische Testament

Das russische Testament

Shumona Sinha ; aus dem Französischen übersetzt von Lena Müller
Edition Nautilus (2021)

181 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 606683
ISBN 978-3-96054-260-5
9783960542605
ca. 20,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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