Gesichter
Die Schriftstellerin und dreifache Mutter Lise Mundus liegt nach einem Selbstmordversuch in der geschlossenen Psychiatrie. Sie hört Stimmen aus Wasserrohren und vermutet in ihrem Kopfkissen ein Mikrofon zur Überwachung. Ihre Mutter, ihr zweiter Ehemann Gert und die junge Haushaltshilfe Gitte entfachen einen quälenden Chor in ihrem Kopf. Lise glaubt, Gert und Gitte hätten ein Verhältnis. Mit der Einnahme von Schlaftabletten hat sie sich selbst aus dem Weg geräumt. Sie leidet an einer längeren Schreibkrise. Die Stimmen suggerieren ihr mangelndes Talent und die Vernachlässigung ihrer Familie. Lise versucht, die Gesichter ihrer Mitmenschen und ihr eigenes zu lesen. Manche scheinen ihr aufgesetzt, verlogen oder verbraucht. Sie hat das Gefühl, von Masken umgeben zu sein. - Der Roman, den Ditlevsen nach dem 2. Band ihrer Kopenhagen-Trilogie ("Jugend", BP/mp 21/748) verfasst hat, ist schwerer zugänglich als die Bände Kindheit und Jugend. In alptraumhaften Sequenzen vermischt sie Wahn und Wirklichkeit, die auch für die Leser/-innen nicht deutlich voneinander zu trennen sind. Ausweg und Heilung verspricht das Schreiben, die stetige Suche nach der eigenen Stimme. Ursel Allenstein hat den Roman neu übersetzt und ordnet ihn im Nachwort in Ditlevsens Gesamtwerk ein. Für Literaturliebhaber, die einen Blick in das Innere einer Psychose wagen.
Susanne Emschermann
rezensiert für den Borromäusverein.
Gesichter
Tove Ditlevsen ; aus dem Dänischen von Ursel Allenstein
aufbau (2022)
160 Seiten
fest geb.