Daldossi oder Das Leben des Augenblicks

Bruno Daldossi ist ein versierter Kriegsfotograf, der sich gegen Ende seines Berufslebens in einer verzweifelten Situation wiederfindet. Dass man ihm, dem Moralisten, der doch durch seine Fotografien aufrütteln will, Zynismus vorwirft, weil er mit der Dokumentation von Leid sein Geld verdiene statt zu helfen, trifft ihn. Noch mehr, dass sich Marlis, die Liebe seines Lebens, von ihm losgesagt hat, weil sie schließlich die Angst um ihn während seiner gefährlichen Auslandseinsätze nicht mehr ausgehalten hatte und weil er dem Alkohol verfallen war. Als der Versuch, Marlis zurückzugewinnen, kläglich scheitert, folgt er Johanna, der Exfrau seines ehemaligen Partners nach Lampedusa. Diese will dort über Flüchtlingsschicksale recherchieren. "Er brauchte einen Ausgleich für sein Liebesversagen und für die Schmerzen und Schrecken der Welt." (S. 274) - Was Flucht und Krieg bedeuten, sowohl für die unmittelbaren Opfer als auch für den dokumentierenden Beobachter wird in diesem so packenden wie verstörenden Roman der vielfach preisgekrönten Südtiroler Autorin unmittelbar erfahrbar. Denn die Gegenwartshandlung wird permanent überlagert von Erinnerungen an die grausigen Szenen, die ihn bis in den Traum verfolgen. Souverän und äußerst wirkungsvoll operiert die Autorin mit unterschiedlichen Erzählweisen, mit Erzählerstimme, innerem Monolog und erlebter Rede, was den Leser ganz unmittelbar teilhaben lässt an der "Lebenssehnsucht, Ruhelosigkeit und Zerrissenheit" (S. 293) des Helden. Hochaktuell, verstörend und zum Nachdenken anregend!