Das Sanatorium zur Sanduhr

Der Ich-Erzähler, "ein Pensionist der Spitzenklasse", stellt fest, dass sein Körper schrumpft und bereits dem eines Kindes gleicht. Um die zurückgewonnene Lebenszeit zu nutzen, bewirbt er sich als Schüler und wird von Erstklässlern vorbehaltlos angenommen. Dass die gemeinsamen Tage ein jähes Ende finden, ist die Folge eines Herbststurmes. Denn durch heftige Windböen emporgetragen, fliegt der Winzling "höher und höher, in die gelben, unerforschten ... Lüfte". Diese in den 1920er Jahren entstandene phantastische Erzählung ("Der Pensionist") enthält das literarisch-philosophische Credo der polnisch-jüdischen Autors Bruno Schulz (1892 - 1942). Als Sohn eines Tuchhändlers in der galizischen Provinz geboren, entflieht er deren Enge durch das Schreiben magisch-visionärer Texte. Das von ihm in dem Zusammenhang häufig verwendete Verwandlungsmotiv dominiert nicht nur die 1934 ersterschienene Prosasammlung "Die Zimtläden", sondern prägt ebenfalls auch die 1935/36 unter dem Titel "Das Sanatorium zur Sanduhr" zusammengefassten, in bizarre Traumwelten entführenden Erzählungen. Dass Schulz die Beziehung zwischen Raum und Zeit ignoriert und somit grenzüberschreitend den Blick auf scheinbar Unmögliches lenkt, erwächst aus seiner Sehnsucht nach einer Erneuerung der Welt durch die "Kraft der Verzückung". Das Potenzial für Veränderungen sieht er in einer "wiedererlangten Kindheit", in der sich das "Ungeheuerliche und das Alltägliche" verbinden. Wenn er sich mit Sensibilität und Eloquenz den Schutzbedürftigen und Außenseitern zuwendet (u.a. "Dodo", "Die letzte Flucht des Vaters"), wird er seinem Anliegen gerecht, Ungewöhnliches in einer originellen, adjektivreichen und bildstarken Sprache zu würdigen. Die einfühlsame Neuübersetzung kommt den Intentionen des Autors nahe und trägt dazu bei, dass die von Schulz illustrierte Prosa als lesenswert bezeichnet werden kann. (Übers.: Doreen Daume)