Das Geschenk

Chuck, der Titelheld aus Wolf Wondratscheks 1974 erschienenem Gedichtband "Chuck's Zimmer" (Auflage 300.000!) erzählt und reflektiert 31 Jahre später über sein Leben, das übrigens in vielen Details mit der Biografie des Autors Wondratschek übereinstimmt. Der Erzähler, ein mäßig erfolgreicher Schriftsteller, war und ist ein Widerständiger, ein Individualist, der bei Frauen gut ankam und immer noch gut ankommt. Aber die einzige, die er wirklich liebte, hat er durch einen absurden Unglücksfall verloren. Genau in der Mitte des Buches erfährt der Leser, welcher Art das Geschenk ist, dem der kurze Roman seinen Titel verdankt: "Die Liebe und das Mädchen, das verliebt war, waren für Chuck nur die Nahrung, die einer, der krank gewesen war, zu seiner Genesung brauchte". (S. 99) Dieses bedeutend jüngere Mädchen hatte der drogenabhängige Chuck nämlich in einer Kneipe angesprochen und verführt, obwohl er sie nicht wirklich liebte und obwohl er sein Leben auch nicht mit ihr verbringen will. Er sucht in ihr die feste Stütze, die er braucht, um clean zu werden. Gegen seinen Willen macht sie ihn zum Vater. Indem er dieses Kind lieben lernt, lernt er das Leben lieben: "Wenn sie sich umarmten, war, was er hielt, sein Leben, sein eigenes." (S. 31) Und in dem widerborstigen pubertierenden Jungen erkennt er zunehmend sich selbst und er sieht sich gezwungen, über sein eigenes, so unstetes Leben nachzudenken. - Es ist ein Roman, in dem wenig Spektakuläres geschieht, der den Leser aber dennoch nicht los lässt und der einem unter die Haut geht. Es ist die erzählerische Raffinesse, die sublime Sprachgewalt und die schonungslose Offenheit, die den Blick frei gibt auf das Schicksal eines teils bedauernswerten, teils bewundernswerten Nonkonformisten, diesen Chuck, den melancholischen Helden aus Wondratscheks furiosem Frühwerk "Chuck's Zimmer". Lesenswert!