Doktor Wassers Rezept

Der angehende Arzt Dr. Kurth Wasser war einst aus der DDR nach Schweden geflohen. Weil er hier eine Anstellung sucht, hat er alle Ausweise, Zeugnisse und Unterlagen bei sich, als ihm auf einer einsamen Landstraße ein tödlicher Unfall passiert. Der junge Kent Andersson (!) findet den verwesten Leichnam und einer spontanen Eingebung folgend nimmt er, der sich bisher mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser gehalten hat, die Papiere an sich und schlüpft in die Rolle des Verstorbenen: "Die Versuchung war allzu groß. Die Versuchung, meinem Leben ganz einfach zu entrinnen und ein anderes zu leben." (S. 22) Aus dem Verlierer wird ein Gewinner. Denn begünstigt von verschiedenen Glücksfällen, von einflussreichen Geliebten gefördert und dank der klugen Entscheidung, sich als Schlafforscher auszugeben, bleibt sein Betrug unentdeckt. Sogar zum Direktor der Klinik steigt er auf. Er lebt sich so vollständig in die neue Identität ein, dass er ohne schlechtes Gewissen einen Arzt, der sich des gleichen Vergehens schuldig gemacht hat, enttarnt und in den Selbstmord treibt. Als 80-Jähriger blickt er voller Genugtuung auf ein erfolgreiches Leben zurück, das er sich selbst geschaffen hat: "Ich bin ein Gewinner." (S. 7) Vielleicht kann man den kurzen, amüsant und elegant erzählten Roman des bekannten und mehrfach ausgezeichneten schwedischen Autors (geb. 1936, wie der Held der Geschichte - gestorben 3. April 2016) als Gedankenexperiment um Selbstbestimmung und Identität verstehen. (Übers.: Verena Reichel)