Besser allein als in schlechter Gesellschaft
Teta Jele nähert sich ihrem 100. Geburtstag - zu Beginn der Pandemie. So bleibt als Kontaktmöglichkeit für die Nichte, die Autorin, nur das Telefon. Die beiden reden über viele Dinge aus dem bewegten Leben der Tante. Dabei schält sich der Lebenslauf
heraus: Jele wurde kurz nach dem Ersten Weltkrieg in eine großbürgerliche jüdische Familie in Zagreb geboren. Die nationalistische Ustascha verfrachtet kurz vor dem Ende des Mussolini-Regimes die junge Frau in ein Konzentrationslager auf der Insel Rab, wo sie sich zuvor noch im Ferienhaus der Familie aufhielt. Ehe deutsche Truppen in Kroatien eintreffen, rettet einer der italienischen Soldaten Jele mit einem Boot. Sie heiratet ihren Retter und führt ein eher bescheidenes Leben in Norditalien, unter der Fuchtel ihrer Schwiegermutter. Verwitwet scheint Jele großes kaufmännisches Geschick entwickelt zu haben, jedenfalls ist sie vermögend. Nach Kroatien wollte sie nie auf Dauer zurückkehren, obwohl ihre Schwester, die Mutter der Autorin dort als politisch aktive Sozialistin lebte. Schon gebrechlich lebt Jele zu Beginn des Buches seit Kurzem in einem Pflegeheim. Eines hat sie sich aber über die Jahre bewahrt: ihren Sinn für schöne und gute Kleidung. - In einer recht persönlichen Form schildert die Autorin, wie sehr die Corona-Einschränkungen den notwendigen Kontakt zu Angehörigen erschweren. Man hat zwischendurch das Gefühl, Jele ginge es besser, wenn ihre Nichte wie früher oft bei ihr wäre. Der Rückblick auf das Leben der Tante und der Mutter zeigt, dass sich Menschen jüdischen Glaubens aus Kroatien sehr unterschiedlich an die sich ändernden gesellschaftlichen Verhältnisse anpassten.
Pauline Lindner
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Besser allein als in schlechter Gesellschaft
Adriana Altaras
Kiepenheuer & Witsch (2023)
233 Seiten
fest geb.