Titos Brille

Die mit der Autorin Adriana Altaras identische Ich-Erzählerin wirkt genervt. "Sechs Stunden Synagoge, ... zweihundert geladene Gäste, koscheres Büfett" ergo: "Keine große Sache". Die lakonische und pointierte Kommentierung der Vorbereitung zur Titos Brille Bar-Mizwa ihres 13-jährigen Sohnes trifft den Grundton der ironisch-sarkastisch, aber auch witzig und mit hintergründigem Humor erzählten Familiengeschichte. Dass sich Komisches mit zutiefst Tragischem vereint, resultiert aus der jüdischen Religionszugehörigkeit. Indem die 1960 in Titos Jugoslawien Geborene den Nachlass ihrer als Staatsbürger der BRD anerkannten, 2001 bzw. 2004 verstorbenen Eltern sichtet, leistet sie emotionale Schwerstarbeit. Vor allem durch die Skripten des Vaters angeregt, stellen sich der als Schauspielerin und Regisseurin tätigen Mutter zweier Söhne unbequeme Fragen. Wann hat sie das letzte Mal gemeinsam mit ihrer Familie Sabbat gefeiert? Werden es ihr die sie begleitenden "Dibbuks" verzeihen, wenn Sie die jüdisch-amerikanische Verwandtschaft als fremd empfindet? Akzeptieren es die "Geister der Toten", dass sie Berlin als Heimat schätzt, in der "gefühlvolle, chaotische Israelis ... auf engagierte, pragmatische Ostdeutsche" treffen? Mit diesem offenherzigen Bekenntnis schlägt Adriana Altaras gesellschaftliche und religiöse Brücken. Ihr episodenreiches, Zeitgeschichte reflektierendes, stets gegenwartsbezogenes Familienbuch ist zu empfehlen.

Kirsten Sturm

Kirsten Sturm

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Titos Brille

Titos Brille

Adriana Altaras
Kiepenheuer & Witsch (2011)

263 S.
fest geb.

MedienNr.: 567836
ISBN 978-3-462-04297-9
9783462042979
ca. 18,99 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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