Betrug
Protagonistin ist die sozial engagierte, bis an ihre Grenzen gehende Úrsúla, die nach ihren traumatisierenden Einsätzen in Liberia und Syrien nach Island zurückkehrt. Sie hofft auf Ruhe und einen Neuanfang sowohl in ihrer Ehe als auch in der Beziehung
zu ihren Kindern. Trotzdem nimmt sie das überraschende Angebot des Premierministers an, für ein Jahr das Amt des Innenministers zu übernehmen. Ausgerechnet sie, die politisch völlig unerfahren ist und keiner Partei angehört. Erst später begreift sie, dass sie als Sündenbock für das Scheitern eines wichtigen politischen Projekts dienen sollte. Das ist jedoch nicht das Hauptthema dieses Romans, vielmehr geht es um ein Versprechen, das sie einer verzweifelten Mutter gibt, nämlich den Polizisten vor Gericht zu bringen, der deren Tochter vergewaltigt hat. Úrsúla wundert sich, dass dieser Fall in ihrem Ministerium überhaupt nicht weiter verfolgt wurde. Sie stößt auf ungeheuerliche Vorgänge, die auch sie persönlich bis ins Mark treffen und sogar in Lebensgefahr bringen. - Soweit zum roten Faden der Geschichte, in der ein Obdachloser, eine lesbische, farbige Reinigungskraft und ein loyaler Chauffeur noch weitere wichtige Rollen spielen. Die isländische Autorin lässt zunächst alles einmal parallel laufen, was, wie ich finde, dem Spannungsaufbau nicht dienlich ist. Erst allmählich gewinnt die Geschichte an Fahrt und die Fäden werden dann doch recht schlüssig und geschickt zusammengeführt. Obwohl ich diesen Roman nicht unbedingt als „Thriller“ bezeichnen würde, hat er vielen anderen Leser/-innen gut bis sehr gut gefallen, und da die Autorin sich schon einen Namen mit ihrer Reykjavík-Trilogie gemacht hat, wird er sicher gern ausgeliehen werden.
Barbara Nüsgen-Schäfer
rezensiert für den Borromäusverein.

Betrug
Lilja Sigurðardóttir ; aus dem Isländischen von Betty Wahl
DuMont (2022)
397 Seiten
kt.