Im Bereich einer Nacht

Anfangs liegt dem Protagonisten (und dem Leser) das Ziel klar vor Augen: Francois, mittlerweile in Paris ansässig, ist an seinem 30. Geburtstag bei seinem Vater auf dem Lande einbestellt. Diesen, einen Angst einflößenden Familiendespoten, hatte der Sohn lange nicht gesehen. Aus einer Laune heraus beschließt Francois, das letzte Stück des Weges zu Fuß zurückzulegen. Aber er verirrt sich in stürmischer Nacht in der Einsamkeit des Waldes, trifft auf verschiedene unheimliche Gestalten und übernachtet schließlich in einem seltsamen Gehöft, das eine magische Anziehungskraft auf ihn ausübt. Schließlich erfüllt sich sein Weg, allerdings auf makabre Weise, denn er trifft seinen Vater nur noch als Leichnam an. Im Verlauf seines nächtlichen Irrwegs entfaltet sich ein phantastisches Szenario, groteske, traumhafte Gestalten bedrängen und umgeben ihn, Angst einflößende Kindheitserinnerungen überlagern die Ereignisse, Zeitebenen verschieben sich und die Stimmen seiner Angehörigen, z.B. seiner Verlobten, seines Vaters oder seiner Mutter mischen sich in das Geschehen. Mit der zunehmenden Verwirrung des Helden verliert auch der Leser die Orientierung, nicht zuletzt wegen einer zunehmend bewusst inkohärenten Erzählweise und ständig wechselnder Erzählperspektiven. Das Bestreben des Lesers die (äußeren) Ereignisse in einen Sinn- und Deutungszusammenhang zu stellen, wird vom Autor somit in irritierender Weise desavouiert. Man fühlt sich an Kafkas Angstszenarien, an Ionescos phantastische oder Becketts absurde Theaterstücke erinnert. Dieser von dem bekannten Lyriker Paul Celan sehr frei und sprachlich kongenial übertragene Roman ist zum 100. Geburtstag Cayrols neu aufgelegt worden (französische Erstausgabe 1954, deutsche Erstausgabe 1961). Man wird das mit einem sehr informativen Nachwort (Ursula Henningfeld) versehene Werk vor allem literarisch interessierten Lesern empfehlen können.