Vater und ich
Einst der ganze Stolz und Augenstern ihres Vaters, mit Zärtlichkeit und Interesse bedacht: Ipek. Sie ist die einzige Tochter eines in den 70er Jahren nach Deutschland eingewanderten Türken. Und dann, mit dem Erwachsenwerden des Kindes schwindet immer
mehr die Nähe, die Worte fehlen, das Zusammensein befremdet. Als die Mutter eine Auszeit nimmt, nützt die Tochter, inzwischen in der Großstadt lebende Journalistin, drei freie Tage für den Versuch einer Annäherung, skeptisch, unsicher, ob sie ihr Schweigen werden überwinden können. Das "Du brauchst nicht zu kommen" des Vaters hat sie erwartet; die Freude über das Wiedersehen ist "... so verdeckt, dass es keiner sieht. Nicht einmal wir." Aber da ist die Vertrautheit, das Vorhersehbare, weil immer so Gewesene, das Gemeinsame, da sind die vielen Erinnerungen an die Kindheit und Jugend, die vor Ipeks Augen auftauchen, über die sie nachsinnt, sich in Gedanken mit dem Vater erinnert, ihn fragen möchte, aber die Antworten eigentlich schon kennt - oder scheut ... Bis sie, am Ende der drei Tage, begreift, dass Zärtlichkeit und Nähe auch ohne Worte da sind, immer waren. Einerseits die Besonderheiten in den Geschlechterbeziehungen/-rollen von Migrantenfamilien mit traditionellem Hintergrund aufgreifend (Scham und Schicklichkeit z.B.), andererseits eine allgemeingültige Beschreibung einer Vater-Tochter-Beziehung, die vielleicht gerade wegen der Tiefe der Gefühle oft ohne Worte bleiben muss. Eine liebe- und humorvolle Erzählung aus einer türkischen "Gastarbeiter"-Familie, breit einsetzbar, gern empfohlen. (Nominiert für den Deutschen Buchpreis)
Elisabeth Bachthaler
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Vater und ich
Dilek Güngör
Verbrecher Verlag (2021)
101 Seiten
fest geb.