Straßen, Städte, Länder – neue Räume erobern
Mit diesen acht Kinderbüchern lässt es sich wunderbar mit Kindern ins Gespräch kommen, welche Orte sie schon kennen und mögen, und was ihnen andere Länder oder Reisen bedeutet. Die zahlreichen Künstler und Künstlerinnen hat Antje Ehmann nach ihren Kindheitserinnerungen befragt. Wahlweise allein, mit Freunden oder mit den Eltern ist es besonders als Kind und Jugendlicher interessant, neue Erfahrungen zu machen und so die eigenen Grenzen zu erweitern.
„Als Kind vom Dorf fand ich die Stadt wahnsinnig aufregend“, erinnert sich Katrin Wiehle an die Besuche bei ihrer Tante. „So viele hohe Häuser, Fenster zum Schauen, Menschen und Autos. Da gab es einfach unglaublich viel zu entdecken und darunter eben auch Tiere: Tauben, Enten und Mäuse in der U-Bahn. Vielleicht hilft diese Pappe ein wenig beim Finden dieser Tiere“, erhofft sich die erfolgreiche Illustratorin, die nun seit längerem schon in Atlanta (USA) lebt und selbst Kinder hat. In Entdecke Tiere in der Stadt gibt es schon für alle ab 2 Jahren viel zu sehen. Hinter den kleinen Gucklöchern dieser stabilen Pappe ist mal ein Hund, mal eine Katze und mal ein kecker Frosch verborgen. Wie immer seit ihrem Debüt vor 15 Jahren sind alle Seiten in angenehmer Farbgebung und wohltuend klarem und stets freundlichem Strich gestaltet.
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Mitunter wird in der Kita ja etwas Besonderes geboten. Vor allem für Vorschulkinder stehen oft einige Aktivitäten auf dem Plan. Eine Übernachtung in der Einrichtung oder sogar ein Nachtspaziergang wie im neuesten Band der Igelkinder – nach Waldtage! und Die Eroberung der Villa Herbstgold nun erfreulicherweise schon der dritte Streich des eingespielten Teams Claudia Weikert und Stefanie Höfler.
„Woran ich mich sehr erinnere", erzählt Stefanie Höfler, "sind die vielen Spaziergänge mit meinen Eltern, die wir dauernd gemacht haben und auf denen es sowohl Action gab als auch kleine Entdeckungen, für die vor allem meine Mutter zuständig war. Sie hat mir alle Blumen, Schmetterlingsarten und Vögel beigebracht, so dass ich jetzt noch, wenn ich eine Blume am Wegesrand sehe, traumwandlerisch sicher und ohne jegliches Nachdenken so etwas sage wie ‚Ah, Blutweiderich!‘." Und die Igelkinder können nun untereinander klären, ob Regenwürmer nachts tanzen, was mit dem großen Kran an der Baustelle ist, und wer weiß, dass Igel nachtaktiv sind. Wieder sehr vergnüglich und ganz nah dran.
In der Schule lernen die Igelkinder dann ja auch Lesen und Schreiben. Besonders originell präsentieren das schwedische Architektenpaar Jonas Tjäder und Maja Knochenhauer in Buchstabenhausen die Buchstaben von A bis Z. So herausragend, dass sie dafür auf der Nominierungsliste der Sparte Bilderbuch des diesjährigen Deutschen Jugendliteraturpreises stehen. Eine kluge Kombination aus Wimmelbuch, Gedichten, Rätsel und der Konzentration auf jeden einzelnen Buchstaben des Alphabets: B wie Bibliothek, H wie Hotel, M wie Museum oder R wie Restaurant. Pro Seite ist vor weißem Hintergrund der jeweilige Buchstabe als dreidimensionaler Ort gestaltet.
Und eine Kindheitserinnerung an die erste eigene Stadtentdeckungstour, Jonas Tjäder? „Was für eine spannende Frage. Ich kann mich an eine erinnern während einer Autofahrt, wie die Gebäude an mir vorbeizogen. Interessant, dass ich ein Gebäude wie ein Hochhaus in Erinnerung habe, aber nun realisiere, dass es nur vier Stockwerke hat. Schon erstaunlich, wie sich Perspektiven und Größenverhältnisse verändern, wenn man das als Erwachsener dann nochmal prüft.“
Mit dem Auto kann man eine Stadt entdecken, aber um ein anderes Ziel zu erreichen, gibt es auch die Möglichkeit, mit dem Zug zu fahren. Genau das tun die beiden unvergleichlichen Brüder Tatu und Patu in ihrem neuesten Bilderbuch Tatu & Patu und ihre verrückte Zugfahrt. Auf zu Onkel Simu! Übersetzerin Elina Kritzokat erzählt: „Meine Nichte aus Hamburg kommt mich eigenständig mit der Bahn in Berlin besuchen, seit sie zehn Jahre alt ist, das finde ich toll! Vorher hat sie sich vom Begleitservice der Bahn unter die Fittiche nehmen lassen und dabei das Spiel ‚Werwolf’ kennengelernt, das seitdem alle in ihrem Umfeld gern spielen.“ Nun bietet sich als Zeitvertreib das Vorlesen dieses Bilderbuches von Aino Havukainen und Sami Toivonen an. Wirklich witzig, was die beiden Brüder an Bord des ICE erleben. Alles ist neu für die beiden und da kommt es schon mal vor, dass sie ihren Sitzplatz nicht finden oder bereits das Packen für die Reise zu einem echten Abenteuer wird. Denn – muss das wirklich alles mit?
Für ein komplett spielzeugfreies Kinderzimmer, Sinn für Zweckentfremdung und viel Raum für eine Fantasiereise, in der die Welt der weiten Meere erobert werden kann, ist die vielfach ausgezeichnete Sophie Blackall bekannt und dafür bietet ihre Geschichte die passende Einstimmung. Schnell noch die wichtigsten Begriffe der Seemannssprache gelernt – Luken dicht, Segel raffen und Anker lichten – und los geht es. Ahoi! Alle an Bord und Leinen los! So beginnt das Spiel und zieht auch die Betrachter in seinen Bann. Besonders beeindruckend sind die beiden Doppelseiten auf hoher See, mit den Walen und dem Riesenkalmar. „Wenn ich auf dem Festland unruhig werde, stelle ich mir vor, wie es wäre, mit einem Schiff über das Meer zu reisen. So bin ich auf die Idee zu diesem Bilderbuch gekommen“, sagt die vielseitige Künstlerin. Auf sophieblackall.com kann man sehen, wie sie mit ihren Buchkunstwerken für Kinder und Erwachsene Räume erobert.
Jörg Bernardy erweitert seine kreativen Räume auch beständig. Nach mehreren Philosophiebüchern für Kinder und Jugendliche legt er nun einen Bilderbuchtext vor und wählt als Schauplatz Hamburg. Das gelungene Debüt Die Möwe Vagabundus wird mit den feinfühligen Illustrationen von Daria Kuvakina kombiniert. „Meine erste Reise nach Hamburg war zusammen mit einem Freund, als ich siebzehn Jahre alt war. Ich weiß noch, wie beeindruckt ich von den großen Gebäuden in der Mönckebergstraße, vom Jungfernstieg, der alten Kennedybrücke und vom Bahnhof Dammtor war, benannt nach dem ehemaligen Tor der Hamburger Stadtbefestigung“, erinnert er sich. Die Menschen in seiner Geschichte erinnern sich zum Glück auch, dass es eigentlich nicht so bleiben kann – immer nur alleine zu Hause! Welche Rolle die Möwen dabei spielen, wie es auf dem Hamburger Fischmarkt zugeht und wie viele Möwenarten es gibt – all das kann man in diesem Plädoyer für gemeinsames Erleben erfahren.
Und wie es sein kann, in eine vergangene Zeit einzutauchen und zu erleben, wie die Menschen vor mehreren hundert Jahren gelebt haben, davon träumen etliche Kinder und auch mancher Erwachsene. Hélène Lasserre und Gilles Bonotaux machen diesen Traum nach Tolle Nachbarn im zweiten Band Die Nachbarn reisen durch die Zeit wahr. Im Hochformat wird zunächst der Konstruktionsplan der ebenso komplexen wie rätselhaften Zeiterforschungsmaschine offengelegt und dann geht es los! Am unteren Buchrand stets der erläuternde Text bleibt genug Raum für die wimmeligen Bilder. Vorgeschichte, Altertum, Mittelalter – „Sechster Halt: Das Barockzeitalter. Versailles … Das Schloss des Sonnenkönigs! Zwischen all den Alleen, Springbrunnen und Statuen weiß man gar nicht, wo man zuerst hingucken soll.“ Und in der Tat können sich Kinder hier auch gut selbst mit dem Entdecken historischer Szenen beschäftigen.
„Wie immer hatte ich auch bei Tucholsky großen Respekt, mit dem lllustrieren zu beginnen. Es sind die literarischen Klassiker, diese großen Namen, die mich nicht unbekümmert drauflos illustrieren lassen“, so Stefanie Harjes. Kurt Tucholskys Auf tausend Straßen ist als Hörbuch und als Buch ein kluger Genuss für Jugendliche wie Erwachsene. Von Ulrich Maske herausgegeben, ist diese Mischung aus Prosatexten und Gedichten in Kombination mit den mit großem Einfühlungsvermögen und künstlerischer Hingabe gestalteten dreißig Werken absolut bemerkenswert. Und nach ihrer persönlichen Erinnerung an kindliche Entdeckungstouren befragt, antwortet die Künstlerin: „Ja, natürlich. Allein bin ich als Kind des Öfteren in mir bis dahin unbekannten Straßen in unserer Nachbarschaft herumgestreift. Mit Freundinnen habe ich dann die von uns so genannte „Wildnis“ entdeckt. In einem Herbst gab es eine Rallye durch die historische Innenstadt, die zum Teil auch im Dunkeln stattfand. Das habe ich als extrem aufregend empfunden: zu zweit auf neuen Pfaden in ungewohnter Umgebung.“