Serge

Die Geschwister Serge, Jean und Nana, alle drei in unterschiedlichen Lebensphasen und -verhältnissen, werden von Joséphine, Tochter des Ältesten, Serge, überredet, sich den Spuren der jüdischen Familiengeschichte zu stellen und nach Auschwitz zu reisen. Widerwillig begegnen zwei Generationen der Erinnerungskultur vor Ort, ihrer eigenen Sprachlosigkeit, der Frage nach dem Sinn der Begegnung und vor allem sich selbst. Das, was über die Gedenkstätte erzählt wird, ist Muster verschiedener Umgangsweisen mit Erinnerungskultur. Entsetzen, Übersprungshandlungen, intellektuelle Ersatzhandlungen, Gleichgültigkeit - letztlich ist der teilweise im Ton der Komik getragene Roman ein Spiegel der kultivierten Menschheit, die mit Auseinandersetzung ringt. Komik ist hier als Spielart der Tragik zu verstehen. Die Autorin sagt, dass "die Betrachtung der Welt aus Sicht des Tourismus die Essenz unserer Zeit sei" - unter diesem Motiv erzählt sie nun eine jüdische Familiengeschichte, wo die verstorbenen Eltern ihre Spuren lediglich im Unbewussten der nachkommenden Generationen hinterlassen haben. - Der Roman ist aus der Ich-Perspektive von Jean erzählt, der sanftmütig auf seinen großen Bruder, den Lebemann, blickt und versucht, vermittelnd auf die emotionale kleine Schwester Nana einzuwirken. Eigentlich geht es um die Vernetzung der Geschwister und ihren Einfluss aufeinander. Voran bringt die Handlung die dritte Generation und damit wird der Bogen auf die Standortbestimmung der Lesenden geschlagen, die für ihr historisches Gedenken keine Zeitzeugen mehr hören können. Der Roman wird als Buch des Umgangs mit Erinnerungskultur gelesen werden, obwohl Yazmina Reza sich selbst davon distanziert. Diese Distanz und der Umgang damit verweist die Leserschaft in respektvolles Wahrnehmen. Der flüssige, häufig dialogische, ironische Ton macht die Lektüre leicht, führt aber die Verwobenheit von Alltag und abstrahierter Wirklichkeit deutlich vor Augen. Sehr empfehlenswert!