Meinungsverschiedenheiten, Streit, Krieg und dann wieder Frieden und Versöhnung?
Es ist nicht so einfach, die politische Weltlage für Kinder in Worte zu fassen. Aber gegen Angst und Sorgen hilft es in einem ersten Schritt, sich zusammenzusetzen und darüber zu reden. Mögliche Lösungen für Konflikte und Worte dafür, warum es immer wieder Krieg gibt, bieten die folgenden Kinderbücher auf ganz unterschiedliche Weise.
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Antje Ehmann
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Ganz wuselig geht es auf dem Cover zu Warum gibt es eigentlich Streit? Zu. Und so wird optisch gelungen eingefangen, dass es oft gar nicht so einfach ist, wenn viele Menschen unterschiedliche Meinungen, Wünsche und Pläne haben, und darüber in Streit miteinander geraten. „Kinder wissen genau, dass man sich nicht streiten soll. Aber warum eigentlich? Streiten kann man auch fair und es ist wichtig, um Standpunkte zu klären,“ so Autorin Sandra Grimm. Und tatsächlich ist dieses Sachbilderbuch ideal geeignet dafür in der Familie oder in der Kita und Grundschule Anlass zum sinnvollen Austausch darüber zu sein. Viel Humor bringt Lena Ellermann mit ihren lebendigen Illustrationen hinein. Zwei Doppelseiten zu „Wie vertragen wir uns wieder?“ und „Anti-Streit-Ideen“ weisen den Weg zum zwischenmenschlichen Frieden. „Das Thema Krieg im Bilderbuch zu thematisieren, ist eine wichtige, aber schwierige Aufgabe. Kinder hören in ihrem Umfeld von Kriegen und Konflikten, das macht Angst und es tauchen eine Menge Fragen auf,“ so Grimm noch, die auch den Streit und den Krieg zwischen zwei Staaten nicht ausspart.

Diese Fragen rund um Streit und Krieg können mit noch mehr Bilderbüchern gut in der Kita und der Grundschule aufgefangen und beantwortet werden. Zahlreiche Ideen dazu liefert der Band von Patrick Götzke Mit Konflikten umgehen - 40 Kita-Projektideen zu 5 Bilderbüchern. Denn sich mit herausragenden Bilderbücher kreativ zu beschäftigen bietet gewinnbringende Möglichkeiten, sich mit dem Thema Streiten auseinanderzusetzen. Der Autor rät: „Suchen Sie gemeinsam mit den Kindern nach Lösungsmöglichkeiten und sprechen sie über das erlebte Gefühl. Fragen Sie die Kinder, wie sich die gegnerische Partei gefühlt hat. Das Hineinführen in andere Personen ist eine der stärksten und wichtigsten Kompetenzen in Konfliktsituationen.“

Eines davon ist von Jörg Mühle und stand auf der Auswahlliste der Sparte Bilderbuch des Deutschen Jugendliteraturpreises 2019. Zwei für mich, und einer für Dich zeigt ,wie man mit dem Teilen zurechtkommt, und was es mit der Fairness auf sich hat.

Bewusst neutral wollte der Illustrator Tobias Krejtschi seine Hauptfiguren anlegen und hat sich so - ähnlich wie Mac Barnett und Jon Klassen in ihrer Trilogie Dreieck Quadrat Kreis - für geometrische Formen entschieden. Manchmal ist da einer setzt sich schon für kleine Kinder geeignet mit dem Thema Krieg auseinander. So grimmig, wie das Quadrat da auf dem Cover schaut, muss ja etwas Unerfreuliches vorgefallen sein! Liest man die Geschichte, an der Karin Gruß redaktionell mitgearbeitet hat, lernt man den Unruhestifter genauer kennen. Denn Quadrat legt es auf Ärger an und die anderen müssen sich nun wohl oder übel zur Wehr setzen. „Das Bilderbuch richtet sich an Kinder und Erwachsene gleichermaßen und darf als Dialoggrundlage verstanden werden,“ so Krejtschi. „Wie es zu gewaltsamen Konflikten kommt und wie wir damit umgehen können“, dafür ist es gut, gemein-sam die Geschichte zu lesen.

Ältere Kinder, die bereits mehr aus den Nachrichten erfahren oder die Kinder aus Kriegsgebieten in ihrer Schulklasse haben, denen sei das herausragende Sachbuch des spanischen Autors und Grafikers Eduard Altarriba empfohlen. Was ist Krieg? gibt einen strukturierten Überblick über diverse Aspekte des wichtigen Themas. Krieg gibt es schon so lange es Menschen gibt. Fast alle Länder haben Armeen und gehen im Ernstfall davon aus, sich verteidigen können zu müssen. Im alten Rom gab es die Gladiatoren, im Mittelalter die Ritter und etliche Kinder können Oma und Opa fragen, welche Rolle der zweite Weltkrieg in der Familiengeschichte spielt. Auf Landkarte und Schaubildern wird gut verständlich erklärt und gezeigt, was Krieg bedeutet. „Eines bleibt immer gleich: die verheerenden Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung: Flüchtlinge, Tod, Armut und so weiter,“ so Altarriba. „Ich habe versucht, einen objektiven Ton zu finden und die wichtigsten Informationen meiner umfangreichen Recherche für Kinder zu präsentieren.“ Das ist ihm beindruckend gelungen.

Ebenfalls beeindruckt das bereits 2015 erschienene Bilderbuch des ukrainischen Künstlerpaares Als der Krieg nach Rondo kam. Damals noch unter dem Eindruck des Krieges im Donbas geschrieben und illustriert, hat es nun immer noch eine erschreckende Aktualität. In der Stadt Rondo leben die drei verletzlichen Hauptfiguren: Danko, Sirka und Fabian. Die zerbrechliche Glühbirne, ein pinkfarbener Luftballonhund und der reiselustige Papiervogel. Ein filigran gezeichneter Stadtplan in hellen, freundlichen Farben zeigt das friedliche Leben in der zauberhaften Stadt. Doch dann bricht alles zusammen. „Der Krieg kommt in die Stadt,“ ist da zu lesen, und wie hier ab sofort das Dunkle und das Grauen das Kommando übernehmen, ist beängstigend. Doch die Bewohner schaffen es, mit einer großen Lichtmaschine Hoffnung zu verbreiten. „Je heller das Licht erstrahlte, je lauter die Hymne ertönte, umso schneller schrumpfte der Krieg.“ Romana Romanyschyn und Andrij Lessig schaffen es, Kindern und Erwachsenen eine Geschichte zu schenken, die es dank künstlerisch herausragender Gestaltung möglich macht, über das Grauen zu sprechen.

Monika Masłowska schafft es in einer Mischtechnik aus Acryl, Aquarell und Bleistift, die momentane Welt des Mädchens und ihres Maulwurfes unter der Erde schon für kleine Kinder begreiflich zu machen. Erst im letzten Drittel der leisen, aber umso intensiveren Geschichte Maulwurf und ich werden wir mit in das vorübergehende Zuhause genommen. Im schützenden Keller muss sich die Familie samt Oma einrichten. „Wir wollten der kindlichen Perspektive ganz verbunden bleiben. Was weiß das Kind über die Situation draußen? Was lässt es an sich heran und wogegen schützt Gott sei dank der kindliche Schutzmantel?“, so beschreibt die Autorin Sarah Michaela Orlovsky ihre sensible Herangehensweise. Und tatsächlich spürt man den Übergang der Welten kaum und kann so im eigenen Tempo begreifen, dass der Papa nur als Foto mit dabei ist und die Soldaten vor der Tür stehen, und die Blumen kaputttreten.

Und auch Anna Woltz nimmt uns in Nächte im Tunnel mit unter die Erde und übertrifft sich mal wieder selbst, in ihrer Fähigkeit, jeden Satz und jede Szene genau zu dosieren und so auf die vier Hauptfiguren zu fokussieren, dass man zutiefst berührt ist, als das eintrifft, vor dem die niederländischen Autorin gleich zu Beginn gewarnt hat. „Wir sind jetzt zu dritt. Wir waren zu viert, aber einer von uns wird sterben. Besser, du weißt das. Jetzt schon, bevor ich anfange.“ Aber man taucht auch dank der akribischen Recherche der gelernten Historikerin so intensiv ein in die Zeit des Zweiten Weltkrieges in London im September 1940, dass man es wiederum fast vergisst. Ella, ihr kleiner Bruder Robbie, Jay und Quinn erleben viel zusammen und als Leserin ist man an ihrer Seite hautnah mit dabei. „Ich habe die Übersetzung kurz vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine abgegeben, und wusste zuvor nicht, dass die Londoner in dem Metrosystem Schutz suchten. Anna Woltz zeigte mir die Fotos, die sie inspiriert hatten und ich hätte nicht gedacht, bald so ähnliche Bilder in den Nachrichten zu sehen,“ so Übersetzerin Andrea Kluitmann.
Alle Kinderbücher stehen unter dem Eindruck dieser für Kinder wie für Erwachsene erschreckenden Aktualität, und machen diese Bücher und das gemeinsame Gespräch über das beängstigende Thema umso wichtiger.