Comic und Leseförderung
Ein bisher noch zu wenig genutztes Potenzial
Uns fiel das Thema immer wieder in den Meldungen von eventilator auf. So haben wir die beiden Autoren angefragt, ob sie uns mit Tipps und Tricks aufzeigen wollen wie es sich mit Comics in der Leseförderung verhält. Viel Vergnügen bei der Lektüre und schreiben Sie uns, wie es Ihnen gefallen hat. Ihre Ulrike Fink, Redaktion
von Anna Gabai und Frank Sommer
15. Juni 2015
Kinder lieben Comics! Ihre Begeisterung und ihre Freude an den bunten Zeichnungen mit den witzigen und drastischen Geschichten werden aber noch viel zu selten für die Leseförderung genutzt. Das sollte schleunigst geändert werden. Wie? Dazu hier einige Tipps zur Umsetzung in Ihrer Bibliothek.
1. Kinder muss man nicht zum Comic-Lesen überreden.
Das schaffen die Comics von sich aus. Kein anderes Leseformat hat einen so positiven Ruf wie Comics. Denn im Gegensatz zum oft seitenstarken erzählenden Lesestoff müssen Kinder hier nicht besonders motiviert werden.
2. Comics
für Kinder sind witzig.
In den letzten Jahren sind in Deutschland viele neue Kindercomics erschienen, die witzig sind. Und welche bessere Werbung fürs Lesen gibt es als das Lachen, sprich: die positive emotionale Zustimmung?
3. Comics sind Türöffner in die Lesewelt.
Wie viele Kinder, vor allem Jungs, sind mit Comic-Klassikern zu Lesern geworden? Fragen Sie mal im Bekannten- und Kollegenkreis nach. Gerade für Jungs der heute älteren Semester waren Comics eine echte Alternative zu den wohlmeinenden, aber seitenstarken Lesestoffen.
4. Comics sind kurz, knapp und knackig.
Das schätzen Kinder. Comics kann man auch mal zwischendurch lesen. Geschichten sind auf wenigen Seiten und im Wortsinne auf einen Blick zu erfassen. Comics machen Lesen leichter, auch mal im Familienauto oder im Schulbus.
5. Comics sind frech, fantastisch, böse.
Kinder lieben diese Geschichten oder Figuren, die eben nicht so sind, wie manche Erwachsene sie gern hätten. Und krasse Lösungen für Probleme (einfach mal "Bumm" und in die Luft gesprengt), das ist Teil der Erzählweise und eben Fantasie und nicht Realität. Gerade Jungs schätzen diese Figuren, die nicht weichgespült ihr Leben bewältigen.
6. Comics sind dünn.
Ein wichtiges Argument für Kinder, denn der Umfang mancher Bücher erschreckt schon beim Anblick. Einen Comic kann man in Happen lesen, weglegen und nochmals lesen und so in Lese-Portionen einteilen. Comics bieten von sich aus eine Lesestrategie an.
Nicht dass Sie denken, die Verfasser dieses Artikels hätten sich diese Argumente ausgedacht. Sie sind Ergebnis einer achttägigen Veranstaltungsreise „Comics & Comic-Romane“ durch 11 Bibliotheken in Südniedersachsen. Die über 500 Kinder der Veranstaltungen wurden gefragt, was „um Himmels Willen“ sie an Comics so gut fänden. Da purzelten die o.g. Antworten nur so aus den Jungen und Mädchen heraus.
Und zur Entlastung konnten dann die wenigen Kinder, die nichts oder nur wenig mit Comics anfangen konnten, auch ihre Meinung kundtun. Sie sagten: „Die Geschichten sind mir zu kurz.“ „Da ist nicht so viel Text zum Lesen. Das finde ich langweilig.“ oder „Man kann sich keine eigenen Bilder mehr machen.“ „Bei Comics ist das schon vorgestellt. Mir gefällt es, wenn ich mir das ohne Bilder selber vorstellen kann.“ Und ein Mädchen aus Osterode (die als einzige von 60 Kindern nichts von Comics hielt), meinte selbstbewusst: „Comics sind einfach unlogisch.“
Sind Comics unlogisch?
Diese Gegenmeinungen zeigen deutlich, was viele Kinder an Comics schätzen: die Kürze, die Überschaubarkeit der Geschichte und die Entlastung des Lesens durch Bilder. Im letztgenannten Argument ist unserer Meinung nach ein bisher viel zu wenig erkannter Grund, der für den Einsatz von Comics für die Leseförderung spricht. Denn für manche Kinder ist es eben nicht so, dass beim Lesen eines Wortes oder Satzes ein inneres Bild - der berühmte Film im Kopf - aufploppt. Diese Kinder sehen tatsächlich schwarze Buchstaben auf weißen Seiten. Die Comic-Bilder unterstützen sie aber, bieten ihnen einen visuellen Anker, der sich in ihrer momentanen Lesefähigkeit nicht selbst herstellt.
Schätzungsweise 25 % der Leselernenden haben Schwierigkeiten im Leselernprozess, gerade in den sogenannten hierarchieniedrigen Lernstufen wie bei der Erfassung von Wörtern, Sätzen und Satzgefügen. Für diese Kinder sind Comics ein geeignetes Leseformat. Die Lesemenge einer Seite ist überschaubar. Der Lesetext ist in Sprechblasen konzentriert (ein mehrmals erwähntes wichtiges Kriterium, warum Kinder gern Comics lesen) und auch als sogenannter schlechter Leser blättert man sich schnell durch ein Buch. Ein Bild in einem Comic ist wie ein Satz in einem Text: man kann jedes Element separat betrachten und wenn man die Bausteine zusammensetzt, ergibt sich der Sinn. Eine Seite in einem Comicbuch ist wie ein Absatz eines Textes. Zudem ist die Leserichtung der Comics identisch mit der von Büchern. Kinder können damit visuell den Aufbau einer Geschichte nachverfolgen.
Wir hoffen, Sie waren schon immer von Comics überzeugt und haben nun einige Argumente für ihren Einsatz zur Leseförderung erhalten.
Was können Sie in der Bibliothek tun?
1. Auf Comics aufmerksam machen.
Legen Sie Comics aus, empfehlen Sie Comics als Lesestoff oder richten Sie ein spezielles Regal oder einen Comic-Lesebereich ein.
2. Comic-Kiste für Schulkassen
Gerade ländliche Bibliotheken,
so machen wir bei unseren Veranstaltungen die Erfahrung, grenzen dieses Gerne bei der Zusammenstellung ihrer Lesekisten leider aus.
3. Comics als Station Ihrer Bücherei-Rallye
Die Kinder werden es Ihnen danken, wenn sie an dieser Station einfach mal Ihren Comic-Bestand entdecken können.
4. Comic-Tauschbörse
Warum nicht Ihre Bibliothek mal als Comic-Tausch-Treff anbieten?
5. Comic-Quiz
Entwerfen Sie zehn Fragen zum Comic-Genre. Sie werden erstaunt sein, wie viele interessante Figuren, Geschichten, historische Ereignisse und Medien mit Comics zu tun haben.
6. Veranstaltungen zu Comics
Viele Comic-Zeichner und Verlage bieten Veranstaltungen an. Sicher auch in Ihrer Nähe gibt es Profi- oder Amateur-Zeichner, die gern mal einen Workshop anbieten.
7. Comic-Nacht
Comics sind medienübergreifend. Filme, Spiele, Apps, Bücher und Zeitschriften: eine Fülle von Medien stehen zur Verfügung, die entdeckt werden können. Und Besucher können als Comic-Figur verkleidet erscheinen. Machen Sie Ihre Bibliothek zum Comic-Treff.
Wir hoffen, wir konnten Ihnen einige Tipps anbieten, die Sie mit einfachen Mitteln in Ihrer Bibliothek umsetzen können. Wussten Sie außerdem, dass Bibliotheken auch Comics als Lektüre für die Leseclubs im Sommer anbieten? Für manches Kind ist das eine Einladung, um die Mindestzahl von drei Büchern schaffen zu können.
Comics sind ein beliebter Lektürestoff, über den Eltern und andere Erwachsene angeregt mit Kindern sprechen können. Der Großteil der heute immer noch beliebten und meist gelesenen Comics agiert mit klassischen Figuren, die längst internationale Marken sind. Dabei hat die Comic-Szene hierzulande einige sehr interessante und literarisch wie künstlerisch wertvolle Neuentdeckungen zu bieten. Und Comics gibt es mittlerweile für jedes Lesealter vom Kitakind, über Erstleser bis zu den ästhetisch anspruchsvollen Kunstbuchlesern.
Haben Sie Fragen? Suchen Sie passende Veranstaltungen? Dann kontaktieren Sie uns
Frank Sommer & Anna Gabai
www.eventilator.de
15. Juni 2015
weitere Informationen
Unter medienprofile -> Nonbook -> Comics steht eine rezensierte Auswahl zur Verfügung.
Die Autoren kurz vorgestellt
Frank Sommer
Er studierte Schauspiel und Theaterpädagogik an einer Privatschule in Ulm, lebt seit 1992 in Berlin und gründete 1999 Eventilator. Mit Veranstaltungen wie „Karaoke Lesen“ oder „Leseshows für Jugendliche“ ist er bundesweit in Bibliotheken und Schulen unterwegs.
Anna Gabai
Studierte Arabistik, Islamwissenschaft, Judaistik und Erwachsenenbildung in Berlin. Seit ihrer Kindheit beschäftigt sie sich mit Comics und seit 2010 hat sie unterschiedliche Comicprojekte begleitet. Bei Eventilator führt Anna Gabai seit 2012 Veranstaltungen mit Kindern und Fortbildungen für Bibliothekare durch.
Zur Internetseite der Autoren
Links und Literaturtipps der Autoren, für alle, die sich eingehender mit Comics beschäftigen wollen
Sekundärliteratur :
Stefan Dienter, Erwin Krottenthaler (Hrsg.): Comics machen Schule. Möglichkeiten der Vermittlung von Comics im Schulunterricht. Klett/ Kallmeyer, 2007.
Roland Jost, Axel Krommer (Hrsg.): Comics und Computerspiele im Deutschunterricht, Schneider Verlag, 2011.
Andreas Platthaus: Die 101 wichtigsten Fragen. Comics und Manga, Beck'sche Reihe, 2008.
Klaus Schikowski: Der Comic. Geschichte, Stile, Künstler, Reclam, 2014.
Klaus Schikowski, Patrick Wirbeleit: Pixi Wissen Band 60: Comic und Manga. Carlsen Verlag, 2011.
WEBSEITEN ZU COMICS :
www.dreimalalles.info
www.graphic-novel.info
www.comic-i.com
www.comicguide.net
www.splashcomics.de
www.comicgesellschaft.de
- Tagesspiegel, F.A.Z., Taz, Spiegel-online
INSTITUTIONEN, MUSEEN, FORSCHUNG:
- Goethe Institut
- Stiftung Dr. Erika Fuchs (Schwarzenbach a. d. Saale)
- Wilhelm Busch Mühle (Ebergötzen)
- Wilhelm Busch Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst (Hannover)
- Gesellschaft für Comicforschung
- Bundeszentrale für politische Bildung
- Helmholtz Gesellschaft Wissenschaftscomics
TERMINE:
- Comic-Salon Erlangen (alle zwei Jahre, wieder 2016)
- Leipziger Buchmesse (mit großen Cosplay Tag!)
- Frankfurter Buchmesse
- Comicfestival in München (4.-7. Juni 2015, alle zwei Jahre)