Über den Fluss
Schon als unveröffentlichtes Manuskript wurde der Text, der jetzt als Debütroman erschienen ist, mit dem „Retzhof-Preis für junge Literatur“ ausgezeichnet und für den „Amadeus-Antonio-Preis“ nominiert. Und das zu Recht, denn die Autorin
gewährt, nach eigenen Berufserfahrungen als Psychologin, einen detaillierten Einblick in das Leben von geflüchteten Menschen und den Arbeitsalltag einer Psychologin in einem Erstaufnahmelager für Geflüchtete. Mit viel Enthusiasmus und Altruismus geht die junge Protagonistin an ihre neue Aufgabe heran und muss doch bald erkennen, wie eingeschränkt ihre Möglichkeiten sind, wie stark die Zwänge des Asylsystems wirken und wie wenig sie bei den traumatisierten Menschen ausrichten kann. Immer mehr nimmt sie die Arbeit jenseits des Flusses von der großen Stadt gefangen; und sie tut sich schwer mit Nähe und Distanz. Beispielhaft werden einige Situationen von Geflüchteten geschildert und so kommt das Geschehen den Leser/-innen sehr nahe. „Wir hatten die Wahl zwischen dem Tod an Land oder dem Tod zu Wasser. Mich überkam unwillkürlich Traurigkeit angesichts der Vorstellung dieses ausweglosen Meers, dessen Salzatem für mich bisher Freiheit bedeutet hatte.“ Am Ende muss die junge Frau ihren Job aufgeben, denn sie trifft aus falscher Rücksichtnahme auf einen der Gäste eine folgenschwere falsche Entscheidung. Ein dichter, sprachlich ausgezeichneter, reflektierender Roman, der Dilemmata von Helfenden eindringlich thematisiert und die schwere Traumatisierung durch Gewalt, Flucht und Vertreibung deutlich macht. Ein gelungenes Debüt!
Karin Steinfeld Bartelt
rezensiert für den Borromäusverein.

Über den Fluss
Theresa Pleitner
S. Fischer (2023)
203 Seiten
fest geb.