Der Pole
Beatriz, die Frau eines Bankiers, engagiert sich ehrenamtlich u. a. in einem Verein, der Konzerte für Gutbetuchte organisiert. Als Mitglied des Kuratoriums soll sie sich um den eingeladenen polnischen Pianisten kümmern, den alle nur „der Pole“ nennen. Beatriz ist nicht begeistert von dieser Aufgabe, denn der Pole interpretiert Chopin kaum emotional, so ihr Eindruck. Womit sie nie gerechnet hätte, ist, dass er ausgerechnet sie zu seiner Muse erklärt und ihr seine Liebe gesteht. Ohne den hageren alten Mann attraktiv zu finden und obwohl sie ihn lange schroff abweist, beginnt sie schließlich eine Affäre mit ihm, weil sie sich darüber freut, dass sich in ihrem Alter noch ein Mann für sie interessiert – ihre Ehe ist dagegen schon längst zerbröckelt. In sechs Kapiteln mit durchnummerierten, dem Duktus der Handlung folgenden Szenen entwickelt Coetzee seine Erzählung. Er bezieht die Leser/-innen in den Schreibprozess mit ein, indem er seine Überlegungen zur Entwicklung der Geschichte in der Erzählung selbst thematisiert. Die Figuren definieren sich eher durch ihre Aktionen und Äußerungen als durch nähere Erläuterungen des Autors, was dem Buch einen filmischen Charakter gibt.
Adelgundis Hovestadt
rezensiert für den Borromäusverein.
Der Pole
J.M. Coetzee ; aus dem Englischen von Reinhild Böhnke
S. Fischer (2023)
143 Seiten
fest geb.