Theresienstädter Requiem

Das KZ Theresienstadt im Norden von Prag bildete mit seinen vielen gefangenen jüdischen Intellektuellen und Künstlern einen Sonderfall im Vernichtungsprogramm der Nazi-Herrschaft. Der Jurist Josef Bor, dessen bürgerlicher Name Bondy lautete, war Theresienstädter Requiem selbst in Theresienstadt inhaftiert. Er gestaltet in Form einer Novelle, wie der historisch belegte Rafael Schächter, ein Dirigent und Pianist von Rang, in der Ausnahmesituation eines KZ die Aufführung des berühmten Verdi-Requiems angeht und zum Erfolg bringt. Für Juden war die Wahl eines katholisch geprägten Requiems eher unverständlich, doch Schächter sah in dem Messtext, der an die mittellateinische Sequenz "Dies irae dies illa" erinnert, eine Möglichkeit des direkten Aufbegehrens gegen die KZ-Peiniger. Aus der objektiven Erzählperspektive, auch mit Mitteln der erlebten Rede, erfährt der Leser mitfühlend die Gedanken und Nöte der Vorbereitung dieser Musikdarbietung. Wie die richtigen Solisten und Chormitglieder finden und sie "einstimmen", wie die nötigen Musikinstrumente beschaffen? Mehrmals verliert der Dirigent viele seiner Mitwirkenden, weil sie in die Vernichtungslager geschickt werden. Doch Rafik Schächter fängt immer wieder von vorne an. Über den Erfolg der Premiere ist er gar nicht glücklich, weil er sie als Kunstwerk wahrgenommen sieht. In ganz wenigen Zeilen wird dann das spätere Ende der Musiker und Sänger genannt, ihr gemeinsamer Transport in ein Vernichtungslager. - Mehrere Themen sind hier vereint, die existenzielle Not und Grausamkeit in einem KZ, die Annäherung an ein Kunstwerk und die Rezeption desselben. Verdis Requiem wird dem Leser in unvergesslicher Weise nahegebracht. Bei der Gestaltung der Novelle ergaben sich einige Abweichungen von den historischen Gegebenheiten. Dazu informiert das Nachwort von Wolfgang Benz. Hilfreich sind Anmerkungen und die Beigabe des lateinischen Messtextes mit deutscher Übersetzung. Dies ist ein Buch, das keinen Leser unberührt lässt.

Bernhard Grabmeyer

Bernhard Grabmeyer

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Theresienstädter Requiem

Theresienstädter Requiem

Josef Bor ; übersetzt und kommentiert von Antonin Brousek
Reclam (2021)

125 Seiten : Illustrationen
fest geb.

MedienNr.: 604854
ISBN 978-3-15-011333-2
9783150113332
ca. 18,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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